Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
Ordnung gebracht.« Er legte sich auf den Rücken, um sie anzusehen. Über ihrem hochgeschlossenen weißen Nachthemd mit einem Oberteil aus Spitzen trug sie einen einfachen grauen Morgenrock. Ihr Haar war mit einem schmalen Band nach hinten gebunden. Als sie wegging, um sich die Hände zu waschen, fühlte er die Erregung in seinen Lenden.
Heute Nacht war er an der Reihe, und Nannie war immer absolut gerecht. Es kam vor, dass sie sich als Strafe versagte, wenn sie ärgerlich war, aber wenn man an der Reihe war, würde es ihr nie in den Sinn kommen, zu Dominic zu gehen, bloß, weil man die halbe Nacht geschäftlich zu tun hatte. Wie immer hatte sie auf Jeremys Rückkehr gewartet, seinen Bericht angehört, während er ein Bad nahm, und seinen Rücken mit einem Luffa abgeschrubbt, wie sie es all die Jahre getan hatte, seit sie kurz nach Jeremys achtem Geburtstag in Kairo zu den Silks gekommen war. Wie so manches in dem Leben, das er und Dominic mit Nannie Prendergast teilten, war das Bad ein Ritual – eines von vielen. Bei der Vorstellung, auf eines dieser Rituale verzichten zu müssen, wären sie beide in Panik geraten.
Sie hatte sich die Hände gewaschen und kehrte nun zu seinem Bett zurück. Ihre weit auseinander liegenden Augen lächelten verschwörerisch. Sie drehte die Nachttischlampe aus, und er hörte das erregende Geräusch von Wolle auf Baumwolle, als sie den Morgenrock ablegte, dann das Rascheln von Baumwolle auf der Haut, als sie das Nachthemd auszog. In der Dunkelheit sah er den hellen Schatten. Jetzt flüsterte Nannie die rituellen Worte, die sie zum ersten Mal an seinem vierzehnten Geburtstag ausgesprochen hatte. »Nannie wird sich ein wenig zu dir legen, bis du dich angenehm und warm fühlst.«
Danach war es so, wie es immer war und wie er es – ohne Veränderung – immer haben wollte: der Zitronengeruch parfümierter Seife, die erste zögernde Berührung, das Festhalten, das unglaubliche Gefühl ihrer prallen, warmen Brüste, die sich an ihn pressten, kleine Küsse, Geflüster, ein sanftes Führen, ein aufmunterndes Gemurmel, das helle Entzücken, das ihn überkam, als sie ihn aufnahm.
Die herrlichen Bewegungen und Verstrickungen dauerten jetzt viel länger, denn er hatte im Lauf der Jahre mehr Kontrolle über sich gewonnen, aber die Essenz des rituellen Ablaufes veränderte sich nicht, und schließlich kniete sie auf ihm und besaß ihn. In der Dunkelheit konnte er ihre Augen sehen, als sie sich über ihn beugte und Koseworte murmelte und ihn kleines Äffchen nannte. Seine Hände lagen auf ihren sich bewegenden Hüften, sein Körper bäumte sich unter ihr auf, und mit einem letzten langen Stoß hob er sie hoch, als der Höhepunkt kam.
Eine Weile lagen sie ruhig, und wie immer erlebte er wieder das Wunder des ersten Males, als er von der Offenbarung und dem Glück wie betäubt war. Dann glitt sie von seinem Körper und aus dem Bett. Er hörte das Rascheln des Nachthemdes und des Morgenrocks.
Sekunden später spürte er ihren Atem auf seiner Wange und ihre Hand auf seiner Stirn.
»Gute Nacht, Master Jeremy«, flüsterte sie, »schlaf gut.«
»Gute Nacht, Nannie.«
Der Schein des schwachen Lichts in der Halle, als sie die Tür öffnete, ein Blick auf ihre Silhouette, dann wurde die Tür geschlossen, und er war allein.
Jeremy seufzte und streckte sich genüsslich aus. Es war wirklich ein herrlicher Tag gewesen. Nicht zum ersten Mal überlegte er, ob Dominic genau die gleichen Dinge mit Nannie tat, wenn er an der Reihe war, dann schirmte er sich rasch gegen diese verbotenen Überlegungen ab. Nannie hatte ihre beiden Jungen stets in jeder Beziehung völlig gleich behandelt, aber nie wagten sie es, über sie zu sprechen oder Vergleiche anzustellen. Seit Dominics vierzehntem Geburtstag hatte sie aufgehört, Jeremy jede Nacht zu besuchen, und kam nur noch jeden zweiten Abend. Als er sein Missfallen äußerte, bestrafte sie ihn, indem sie sechs Wochen lang sein Bett nicht teilte. Etwas später wurde Dominic ebenso bestraft, und Jeremy wurde andeutungsweise mitgeteilt, dass die Gründe die gleichen waren. Nannie erlaubte keine Eifersucht, und es war klüger, nicht nachzudenken, was geschah, wenn sie beim Bruder war.
Eine halbe Stunde später erwachte Jeremy, weil ihn jemand schüttelte. Das Licht brannte, und Dominic, in Hose und Rollkragenpullover, beugte sich über ihn.
Blinzelnd setzte sich Jeremy auf.
»Was ist los, Dom?«
»Eine Menge.« Das Gesicht seines Bruders war blass, die Sommersprossen
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