Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
verbrachte seine Tage, den Kopf in einen seiner Apparate gesteckt, und ich glaube nicht, dass es ihn gekümmert hat, was seine Frau tat. Jedenfalls ist sie zweimal am Tag in der Werkstatt erschienen und hat behauptet, ihr Fernseher sei nicht in Ordnung, einer von uns müsse nachsehen kommen. Wer immer es gewesen ist, sie hat sich auf ihn gestürzt, und dann ist man die nächste halbe Stunde im Bett beschäftigt gewesen. Sie hat geflüstert und gekichert und alle möglichen Ideen gehabt. Ich glaube, sie hätte Unterricht im Bett geben können.«
Modesty strich mit der Hand über seine Stirn.
»Zweimal
pro Tag
, Willie?«
»Mit der Pünktlichkeit einer Uhr: um halb elf und um fünf. Der Alte muss die Komödie durchschaut haben, aber vielleicht ist er dankbar dafür gewesen. Und uns Jungen hat es gefallen. Wir fanden es herrlich. Der Fünf-Uhr-Termin ist der bessere gewesen, denn da hat man nachher eine Tasse Tee bekommen, also haben wir drei einen Dienstplan entworfen, sodass jeder der Reihe nach drankam. Das Einzige, was uns ein wenig gestört hat, war, dass sie die ganze Zeit den Fernseher eingeschaltet hatte und auch fortwährend hingeblinzelt hat, ganz gleich, welche Stellung sie gerade eingenommen hat.«
Modesty spürte, wie sie von aufsteigendem Lachen geschüttelt wurde, und versuchte sich zu beherrschen.
Als er fortfuhr, war seine Stimme sehr schläfrig: »… so war man mitten im besten Vergnügen, wenn plötzlich der spannende Moment einer Kriminalserie kam. In diesem Fall hörte sie auf und war ganz still, bis der Moment vorüber war …« Seine Stimme wurde leiser und leiser, aber nach ein paar Sekunden fragte er schläfrig: »Wo bin ich stehen geblieben, Prinzessin?«
»Wie die ›nimmermüde Grace‹ das Fernsehen mit der Liebe kombiniert hat.«
»Ja … und eines Tages habe ich eine Idee gehabt, wie die Sache noch unterhaltsamer werden könnte. Sie ist eine muntere Person gewesen, weißt du. Um fünf Uhr hat niemand Dienst gehabt. Ich meine, am nächsten Tag. Also haben wir … Charlie, Gravet und ich … ein Verlängerungskabel zum Lautsprecher des Fernsehers gelegt. Zu dem an der Schlafzimmerwand. Legten ein Kabel … mit einem Mikrofon am andern Ende … sodass wir …«
Seine Stimme wurde zu einem Gemurmel, dann seufzte er tief auf und schlief ein. Sie schaute auf den Kopf mit dem verstrubbelten Haar herab, lauschte auf das regelmäßige Atmen und verspürte eine tiefe Befriedigung. Sie hatte sich gleich zu Beginn bequem hingesetzt und musste sich nicht mehr bewegen. Mit ein wenig Glück würde Willie Garvin jetzt bis zum Sonnenaufgang durchschlafen.
Sie sah zur Decke auf und dachte: Du bist nicht sehr geschickt, Giles, aber du besitzt eine große Gabe. Dann lächelte sie ein wenig in sich hinein und fragte sich, ob sie je erfahren würde, was sich damals im Schlafzimmer der ›nimmermüden Grace‹ zutrug.
4
Jeremy Silk lag in Pyjamahosen mit dem Gesicht nach unten auf seinem Bett, während Nannie Prendergast seine schmerzende Schulter massierte.
Nach seiner Morgenarbeit hatte er geschäftliche Besprechungen in Tetuan, Fes und Melilla geleitet, bevor er unter Beachtung der üblichen Sicherheitsmaßnahmen spät in der Nacht wieder nach Le Dauphin zurückkehrte.
»Du hast heute wirklich gute Arbeit geleistet, Master Jeremy«, sagte sie, »und Nannie ist sehr zufrieden mit dir.«
»Leider kann ich keinen hundertprozentigen Erfolg verbuchen«, erwiderte Jeremy betrübt. »Die Besprechungen waren zufrieden stellend, aber während der Gautier-Operation war ich ein wenig unentschlossen. Nachdem ich ihn niedergebrannt hatte, sah ich Modesty Blaise mit Birot im Garten stehen, und es schien eine gute Gelegenheit, sie aus dem Weg zu räumen. Aber ich war nicht sicher, ob du es wünschst, daher habe ich gezögert, und prompt wurde ich von der Flasche erwischt.«
Ihre Hände kneteten ihn sanft. »Nun, ich bin froh, dass du den Flammenwerfer nicht auf sie gerichtet hast, Liebling. Es hätte nur Verwirrung gebracht. El Mico hat ein Exempel an Gautier statuiert, und daran darf es bei den Leuten, die für uns arbeiten, keinen Zweifel geben. Überdies musst du stets an unsere goldene Regel denken: Wir begehen keine
überflüssigen
Gewalttaten. Wenn es sich als notwendig erwiese, Modesty Blaise zu töten, wäre das natürlich etwas anderes. Hat sich deine Schulter jetzt ein wenig gebessert, Jeremy?«
»Ja, wesentlich, vielen Dank, Nannie. Sie war nicht schlimm, nur ein wenig steif, aber das hast du in
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