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Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman

Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman

Titel: Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter O'Donnell
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andermal in Syrien, als ich ein, zwei Jahre jünger war und kaum wusste, was mit mir geschah. Das, wovon ich träumte, geschah in der Nähe von Marrakesch. Ein Pfad neben einem der Bäche, die zum Dades fließen. Kurz nachdem ich Lob unter meine Fittiche genommen hatte. Wir wanderten nach Süden, zuerst nach Kairo, dann quer durch Nordafrika und beinahe bis zur Sahara hinunter. Frag mich nicht, warum. Wir blieben einfach nie lang an einem Ort.«
    Willie nickte. »Du kamst in den Osten zurück, und ein paar Jahre später hast du die ganze Wanderung nochmals gemacht. Das war, als Lob starb, nicht wahr?«
    »Ja.« Tränen traten in ihre Augen.
    Lob. Sie wusste nicht mehr genau, warum er sie bat, ihn so zu nennen, vermutlich hatte es irgendeinen literarischen Bezug. Sie hatte ihn in einem Vertriebenenlager gefunden. Er war Jude und früher Professor in Budapest gewesen. Ein kleiner, sanfter alter Mann, völlig unfähig, sich in den chaotischen Verhältnissen des Lagers zurechtzufinden. Das Kind hatte sich seiner angenommen, und eines Tages hatten sie gemeinsam das Lager verlassen, um schließlich wie Nomaden mehrere Jahre lang durch den Nahen Osten und Nordafrika zu wandern – tausende Kilometer.
    Es war Lob, der ihr schmunzelnd den Namen Modesty gegeben hatte. Vorher hatte sie keinen Namen gehabt, nur die vage Erinnerung, von sehr, sehr weit weg endlos der Sonne entgegengewandert zu sein; über Berg und Tal, über Felder und Wälder, Wüsten und Ebenen. Den Namen Blaise hatte sie selbst gewählt, als Lob ihr die Legende von König Artus erzählte und von seinem Zauberer Merlin, dessen Lehrer Blaise genannt wurde. Sie lebte meistens vom Diebstahl, manchmal von Arbeit, selten vom Betteln. Es war nicht schwer, sich am Leben zu erhalten, und sie war bereits in der Kunst geübt, vom Land zu leben. Während der ersten gemeinsamen Wochen stahl sie einen Esel, der ihre wenigen Habseligkeiten trug. Zu diesen Habseligkeiten gehörten bald drei Bücher und ein paar Stöße grobes Papier. Lob sprach fünf Sprachen und unterrichtete Modesty in allen fünf. Jeden Tag wurde eine andere Sprache gesprochen. Es gab viele Stunden, in denen die beiden nichts zu tun hatten, und als Lob festgestellt hatte, wie Modesty alles verschlang, was er sie lehrte, nutzte er diese Stunden, um ihr eine grundlegende Erziehung zu geben, auf der sie weiter aufbauen konnte.
    Aber immer zogen sie weiter.
    Auf dem Bett im Hotel in Porto Vecchio liegend, sagte sie: »Es war das erste Mal, dass wir nach Marokko kamen. Wir hatten nie einen bestimmten Grund, irgendwohin zu wandern. Wenn ich heute nachdenke, nehme ich an, dass wir über den Tizi-n’Tichka-Pass gezogen sind und dann weiter die Straße durch die Dades-Schlucht. Damals war es nicht viel mehr als ein Saumpfad mit einer Reihe kleiner, befestigter Dörfer, den
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, am Weg.«
    Willie Garvin legte sich zurück, schloss die Augen und versuchte sich das Bild jenes seltsamen Paares im steinigen Wüstental des Hohen Atlas vorzustellen – ein wildes junges Mädchen und ein sanfter alter Professor aus Budapest. Die leise Stimme neben ihm fuhr fort zu berichten, wie es gelang, in Tinerhir von einem alten Jeep ein Reserverad zu stehlen. Sie wollte es mindestens achtzig Kilometer weiter weg wieder verkaufen.
    Aber Lob hatte eine Verletzung am Fuß, und sie musste ihn in einem der kleinen Dörfer zurücklassen, während sie sich auf die Suche nach einem Käufer machte.
    Das in eine Decke eingeschlagene Rad war auf den Esel geschnürt und schien in dieser Gegend schwer verkäuflich. Dann hörte sie in einem anderen Dorf von Alâeddin, der offenbar verrückt war und alles kaufte, was man ihm anbot. Er dachte gar nicht daran, etwas zu verkaufen, sagte man. Er lebte als Einsiedler in einer großen Höhle, wo die Wüste in die Berge überging, weitab von jeder Straße und eine Viertagesreise per Maultier von Ksar-es-Souk entfernt.
    In dieser Stadt hatte er einen Laden, der seit zwanzig Jahren von seiner Frau und seinen Kindern geführt wurde. Von diesem Laden bekam Alâeddin so viel Geld, wie ihm die Familie gestattete – genug, um zu leben und zu kaufen, was immer die Nomaden ihm brachten. Das schloss jeden nur vorstellbaren Kram ein, der nicht einmal mehr im ärmsten
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einen Abnehmer fand, sowie das, was der Krieg in der Wüste zurückgelassen hatte.
    »So etwas hast du nie im Leben gesehen, Willie«, sagte sie. »Eine riesige Höhle, von der kleinere Höhlen abzweigen, und überall primitive, übervolle

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