Modesty Blaise 10: Der Xanadu-Talisman
einzigen Kleides sah sie ihre mageren Beine und die nackten braunen Füße. Diese nackten Füße hatten sie in dreihundert Tagen von der großen Stadt hierher gebracht.
Furcht, Übelkeit und Hass kämpften in ihrem Innern. Um ihren Hals lag ein Strick. Das Fleisch war jetzt wund gerieben. Er hatte sie gefangen, als sie in dem Bergbach neben dem Pfad den Staub von ihren Gliedern wusch. Keine Möglichkeit davonzulaufen. Keine Möglichkeit, die primitive Waffe zu erreichen, die neben ihrem Kleid lag.
Sie ängstigte sich um Lob, den kleinen alten Mann, den sie drei Winter lang umsorgt hatte. Ohne sie würde er hilflos sein.
Das, was der hagere Mann mit ihr in den letzten zwei Nächten getan hatte, machte sie krank vor Abscheu. Heute Nacht würde es wieder so sein, das wusste sie.
Der Hass war etwas Neues. Vor langer Zeit, weit weg, war ihr das Gleiche zugestoßen; damals erschrak sie, ohne zu verstehen. Jetzt war sie … vielleicht vierzehn? Das meinte Lob. Lob war allwissend. Und hatte sie so viel gelehrt.
Stunden ohne Erinnerung vergingen, und dann kam die Nacht. Der knochige Mann lag auf ihr und zerrte ihr zerrissenes Kleid hoch.
Aber jetzt war er unvorsichtig. Die Waffe, der lange Nagel, mit einem Draht an einem Griff befestigt … er war nicht mehr in dem zerlöcherten Korb am Maulesel, sondern an ihrer Hüfte.
Diese Waffe hatte sie schon oft hervorgezogen, um Schwierigkeiten abzuwehren. War manchmal gezwungen, Wunden zuzufügen. Jetzt aber war das nicht gut genug. Sie suchte nach den Rippen dieses grässlichen, übelriechenden Körpers auf ihr, führte die Spitze aufwärts und stieß mit aller Kraft zu.
Und schob ihn beiseite, als er starb, und rollte weg und krümmte sich zusammen, presste die Finger in den Mund, schrie lautlos, der Schrecken jenseits des Erträglichen … der Boden, der sich bewegte, und … das schwindende Bewusstsein …
Willie Garvin hielt sie fest und sagte: »Ruhig, Prinzessin. Ganz ruhig. Ich halte dich fest. Ich, Willie. Komm, wach auf.«
Die Starre verließ sie, und mit einem Seufzer der Erleichterung lehnte sie sich an ihn – zitternd nach der durchlebten Angst. Die Tür zwischen ihren Schlafzimmern stand offen, und von der Nachttischlampe in Willies Zimmer fiel Licht ein. Willie, in Shorts, saß auf ihrem Bett. Halb abgewendet presste sie sich an ihn, ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Mit seinen Armen hatte er ihren nackten schweißgebadeten Körper von hinten umfangen, seine Hände hielten ihre Handgelenke fest.
»Ganz ruhig jetzt, Prinzessin.« Seine Stimme klang leise und sanft. »Alles ist okay. Du bist bei Willie. Es war nur ein hässlicher Traum. Versuche aufzuwachen.«
Völlig erschlafft, ohne sich zu bewegen, sagte sie:
»Es geht schon, Willie, ich bin wach. Ich werde nicht mehr um mich schlagen.« Er ließ ihre Handgelenke los, und sie sagte rasch: »Bitte halt mich noch eine Weile fest.«
»Natürlich. Lass dir Zeit.« Er schob ihr feuchtes Haar aus der Stirn. »Du heiliger Bimbam, das war ein böser Traum. Es klang, als ob dich jemand erwürgen wollte.«
Sie flüsterte: »Es tut mir Leid, in einer Minute werde ich dir alles erzählen.«
»Keine Eile.«
Sie lag ruhig in seinen Armen, atmete tief und rief sich alle Einzelheiten der verschütteten Erinnerung ins Gedächtnis, die der Albtraum freigelegt hatte. Endlich seufzte sie tief, strich über seine Brust und setzte sich auf. »Was für ein Theater. Lass mich einen Morgenrock holen, und dann wollen wir darüber reden.«
Sie stand auf, fuhr ihm einmal zärtlich durchs Haar, nahm einen kurzen Mantel vom Sessel neben dem Toilettentisch und band den Gürtel zu. Als sie zum Bett zurückkam, sah er sie im Halbdunkel lächeln.
»Eines steht fest, Willie. Alâeddin müssen wir nicht suchen. Ich weiß genau, wo er zu finden ist.«
Er sah sie neugierig an, während sie sich, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, hinlegte. »Der Albtraum, Prinzessin?«
»Ja. Er hat eine kleine Schachtel geöffnet, die jahrelang versperrt war. Du könntest dich auch ausstrecken und es dir bequem machen. Bevor ich mir das von der Seele geredet habe, wirst du kaum schlafen gehen dürfen.«
Er grinste und legte die Füße hoch. »Du musst mich nicht dazu zwingen. Ich bin wirklich gespannt.«
»Ich wurde mit vierzehn Jahren vergewaltigt. Im Traum erlebte ich alles ungefähr so wieder, wie es war.«
Er starrte vor sich hin. »Aber … das war doch früher, nicht? Ich erinnere mich, dass du es mir erzählt hast.«
»Das war ein
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