Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
eigentlich niemals direkt, sondern ließen die Probleme vom Unterbewußtsein lösen; währenddessen schwammen sie eine Stunde lang im Swimmingpool zweiundfünfzig Längen oder eine Meile, dann ruhten sie sich aus, absolvierten vielleicht einen kleinen Trainingskampf, setzten sich zu einem Schachspiel oder einer Partie Backgammon zusammen, hörten eine Platte oder unterhielten sich. Manchmal stand er in der Küche und sah ihr beim Kochen zu.
»Komm am Sonnabend vormittag«, sagte sie. »Ich werde eine Paella machen.«
»Prima.«
Nachdem er gegangen war, blieb sie noch eine Weile beim Fenster stehen und richtete ihren Blick auf den Horizont, wo sich der Himmel und das Meer trafen. Es wäre eine gute Idee, dachte sie bei sich, wenn sie ihre täglichen Übungen aus dem Sivaji-Yoga auch in den kommenden Wochen absolvieren würde. An den Plänen würde sich zwar nichts ändern, aber der Gedanke an das vollkommen neue Leben, das sie nun bald führen mußte, verursachte ihr eine solche Beklemmung, wie sie sie schon seit Jahren nicht mehr empfunden hatte.
Willie Garvin fuhr mit dem Lift hinunter und traf in der Halle Garcia, der gerade aus dem Krankenzimmer kam. »Ich habe alles für Oberon vorbereitet«, meinte Garcia.
»Oberon? Ach ja. Sehr gut.«
»Hast du heute abend schon was vor, Willie?«
»Ja, ich gehe mit Pauline essen, aber wenn ich sie nach Hause gebracht habe, werde ich Zeit haben.«
Pauline war eines der Kuriermädchen, sehr schick und attraktiv, eine typische Pariserin. Sie wäre zwar sicherlich hocherfreut darüber, mit Willie Garvin auch das Frühstück einzunehmen, aber es war sein eiserner Grundsatz, jede engere Beziehung zu einer Frau aus dem
Netz
zu meiden.
»Könntest du nicht mit ihr in dem Restaurant ›
La Nymphe D’Argent‹
zu Abend essen?« bat ihn Garcia.
»Lisette hat mir gesagt, daß zwei Männer bei ihr waren und eine Schutzgebühr verlangt haben. Heute abend wollen sie kassieren kommen. Es sind nur Anfänger, meint sie, aber sie hätte es gern, wenn jemand den beiden gleich einen Denkzettel erteilen würde.«
»Pauline wird sich großartig amüsieren dabei.«
»Ach, komm, du wirst das doch im Handumdrehen erledigen, Willie, und Pauline wird schon verstehen.«
»In Ordnung, Rafael. Überlaß das nur mir.«
Willie ging hinaus auf den Parkplatz, setzte sich in den Mercedes und starrte eine Zeitlang auf die Wand, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Noch drei oder vier Monate, und dann … was dann? Ein Leben als schwerreicher Mann mit einer Kneipe auf dem Land. Was könnte es Angenehmeres geben? Das Gasthaus würde er sich irgendwo in Südengland nehmen, vielleicht an der Themse. Nicht allzu weit weg von London. Er würde ein paar nette Stammkunden haben, einen wachsenden Freundeskreis. London wäre nur eine Stunde entfernt, mit seinen Theatern, Konzerten und zahllosen unterhaltsamen Abwechslungen. Was könnte es Angenehmeres geben für einen Mann, der so lange in nächster Nähe tödlicher Gefahren gelebt hatte? Was könnte es … Langweiligeres geben?
Willie Garvin seufzte und ließ den Motor an. Die nächsten Monate würden sehr sonderbar werden, entschied er schließlich.
2
In dem nur schwach erleuchteten Laderaum befanden sich dreiundzwanzig weibliche Wesen, von denen die Hälfte knapp über zehn Jahre alt war. Das jüngste war ein neunjähriges Kind. Jedes Mädchen besaß eine Luftmatratze zum Schlafen und eine kleine Tasche für Waschzeug und Kleinigkeiten. In einer Ecke des Laderaums waren zwei Kabinen mit Toiletten eingebaut worden, und zwei offen installierte Becken dienten als Waschgelegenheit.
Sie waren nicht sehr gut gepflegt und hatten sicherlich schon besser ausgesehen, diese Kinder und jungen Frauen; es handelte sich bei ihnen jedoch um eine leicht verderbliche Ware, die in gutem Zustand zu erhalten war, bis die
Isparta
wieder in Mersin einlief. Dort würden sie dann erstklassig gebadet und gekleidet werden, um auf die Käufer, die an der Verkaufsschau in dem Haus an der Küste vor der Stadt teilnehmen würden, den bestmöglichen Eindruck zu machen. Die Lieferung war von den Kaufverhandlungen und verschiedenen Absprachen abhängig und richtete sich nach dem Zielort.
Dies war der Laderaum unter dem Achterdeck. Im vorderen Schott war eine Öffnung angelegt worden, die von einem Türrahmen und einer Tür mit Blindschloß ausgefüllt wurde. Hinter der Tür lag ein kurzer, breiter Gang, an dessen Ende eine Kajütentreppe nach unten auf die Laufplanke zum Maschinenraum
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