Modesty Blaise 11: Die Lady spannt den Bogen
sind wir ja bloß zwölf Meilen von ihm entfernt.«
Willie begann zu lachen, bis es ihm weh tat, hielt seinen rechten Arm behutsam mit dem linken fest und schüttelte entschuldigend den Kopf. »Nimm’s mir nicht übel. Ich bin wohl schon ein bißchen schwer von Begriff.«
»Nein, bloß erschöpft, Willie-Schatz. Aber dagegen werden wir jetzt bald etwas unternehmen.«
Er leistete keinen Widerstand. In wenigen Minuten würde sie die automatische Steuerung der Jacht einschalten, ihn in die Kajüte bringen, die Schulter in eine Schlinge legen, alle anderen kleinen Wunden verarzten, ihn ausziehen und dann in die Koje legen, mit einem Becher Kaffee und Rum als Schlaftrunk. Dann würde sie Weng anrufen und Verbindung mit Tarrant bekommen.
Auf keinen Fall würde sie sich mit dem toten St. Maur an Bord Madeira nähern, bevor sie nicht mit Tarrant gesprochen hatte. Über Funk würde sie einen Code improvisieren müssen, um ihm die Lage in großen Zügen klarzumachen, aber das dürfte ihr nicht allzu schwer fallen, denn beide hatten gemeinsame Schlüsselwörter, die einem zufälligen Zuhörer unbekannt waren. »
Wir haben die Stelle gefunden, die der Steinenarr gesucht hat. Die Leute hier wollten sich eigentlich für heute abend auf Ihre Party einladen, aber es ist ihnen etwas dazwischengekommen
.« Steinenarr gleich Ben Christie. Das würde für Tarrant ausreichen, um sich ein Bild zu machen.
Der Motorsegler entfernte sich langsam von der dunklen Silhouette der Insel Deserta Grande. Willie Garvin blickte sich um. Es war stockfinster, aber die Nacht war noch jung. Auf Porto Santo hatte das Abschiedsessen für die Regierungschefs der westlichen Welt wohl noch nicht einmal begonnen. Tarrant würde wahrscheinlich ein Boot der Sicherheitskräfte nehmen, um irgendwo auf See vor Deserta Grande mit der
Sandpiper
zusammenzutreffen, um sich von Modesty alle Einzelheiten berichten zu lassen, bevor er eine Entscheidung darüber traf, was zu tun war.
Und dann …
Und dann, dachte Willie Garvin im Einschlafen, dann würden sich verschiedene Leute in einem mächtig verzwickten Schlamassel zurechtfinden müssen.
17
»Für mich ist es natürlich ein furchtbarer Schock gewesen«, sagte Victoria Gräfin St. Maur traurig. »Als man mich aus Lissabon angerufen hat, um mir zu sagen, daß der arme alte Ronnie bei einem Segelunglück ertrunken ist, da war ich eine Zeitlang wirklich ziemlich fertig. Aber das Leben geht ja weiter, und wenn man abgeworfen wird, dann muß man eben ganz einfach wieder aufsitzen und weiterreiten, nicht wahr?«
»Stimmt«, pflichtete Ferdie Clarkson ihr mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht bei. »Könntest du vielleicht ein bißchen weniger fest zupacken beim Aufsitzen, altes Mädchen?«
»Wie? Ach so, tut mir leid.« Sie entspannte ihre mächtigen Schenkel, und der Mann, auf dem sie rittlings kniete, atmete erleichtert auf. »Aber schlaf mir ja nicht ein, Ferdie«, ermahnte sie ihn.
»Bestimmt nicht, Vicky. Aber wir sind doch nicht in Eile, oder? Ich meine, wenn der arme alte Ronnie jetzt nicht mehr da ist, müssen wir die Hütte ja nicht mehr um vier Uhr früh verlassen, hab ich recht?«
»Aber nein, wir können noch eine Ewigkeit weitermachen. Hab ich dir eigentlich erzählt, daß mich eine Woche danach ein sehr netter Mann besucht hat?
Professor Collins hieß er, oder so ähnlich. Nein, Collier. Genau, das war sein Name. Ein sehr netter Mann.
Er war sozusagen bei dem Unfall dabei, weißt du, weil er nämlich am frühen Morgen zum Angeln vor Cascais aufs Meer hinausgefahren war, und da hat er plötzlich gesehen, wie das Segelboot vom armen alten Ronnie irgendwie umgekippt und untergegangen ist, ganz einfach so. Er ist der einzige Augenzeuge gewesen, Professor Collier meine ich, und er hat auch noch nach Ronnie gesucht, aber es war schon zu spät. Ich fand es richtig nett von ihm, mich anzurufen und mir zu erzählen, wie es passiert ist.« Victoria Gräfin St. Maur ließ ihr ausladendes Hinterteil kreisen. »Ich habe ihn noch gebeten, doch zum Essen zu bleiben, aber er mußte leider wieder in die Stadt zurückfahren«, fügte sie bedauernd hinzu.
»Ich habe gar nicht gewußt, daß sich der alte Ronnie etwas aus Segeltörns am frühen Morgen macht«, meinte Ferdie Clarkson.
»Tja, ich auch nicht. Aber wenn ich es mir recht überlege, dann habe ich eigentlich sowieso nicht allzu viel über ihn gewußt. Er war immer furchtbar beschäftigt, weißt du. Dauernd ist er herumgereist und hat Geschäfte
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