Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
gehen hinter den Bogenschützen, also scheinen die Schleudern eine größere Reichweite gehabt zu haben. Das war ungefähr 700 vor Christus. Möchtest du etwas Lustiges hören, Molly?«
Sie nickte dankbar und fühlte, wie bei seinen Worten die Spannung in ihr etwas nachließ. »Ja gern, Willie.«
»Nun, um zu den Griechen und Römern zu kommen, die formten Geschosse aus Blei und brachten oft Inschriften darauf an. Meistens war es nur die Nummer der Legion oder etwas Ähnliches, aber man hat auch einige gefunden, in die Worte wie: Ein Steifer von Caesar oder Rauf mit ihm, Pompeius! eingraviert waren.« Molly mußte lachen. Sie hatten die Landspitze nun umrundet, und als sie zurückblickte, war der lange Küstenstreifen nicht mehr zu sehen.
Willie hielt ihre Hand fest. »Diese alten Skulpturen zeigen gewöhnliche Krieger, die ihre Schleudern parallel zum Körper halten. Das war wahrscheinlich die schwere Artillerie, die lange Schleudern verwendet hat, um große Wurfgeschosse gegen eine zweihundert oder dreihundert Meter entfernte geballte Infanterie zu befördern. Ich habe herausgefunden, daß ich für die größte Treffsicherheit am besten eine kleine Schleuder verwende, die ich über dem Kopf in einem bestimmten Winkel zum Boden wegschnelle. Was habe ich gerade gesagt?«
»Oh … etwas wie Rauf mit ihm, Pompeius, oder?«, fragte sie schuldbewußt.
»Das hab ich mir gedacht. Du merkst dir immer nur die unanständigen Sachen.«
Molly lachte wieder, übergab ihm das Ruder, setzte sich ganz nah neben ihn und legte die Hand auf seinen Arm.
»Danke, Willie. Glaubst du, daß sie es noch einmal versuchen werden?«
»Im Augenblick nicht. Sie werden ziemlich schockiert sein, wenn sie merken, daß ihr Mann draufgegangen ist. Das könnte ihnen eine Lehre sein. Du brauchst keine Angst zu haben, Molly.« Sie erreichten nun die kleine Bucht, und Molly beobachtete Willie, als er auf den Landesteg zusteuerte.
Sie dachte, wie gelassen er doch war, selbst jetzt, nachdem er wenige Minuten zuvor noch dem Tod ins Auge geblickt hatte. Was war das im Vergleich zu der Angst, die er vor neun Jahren gezeigt hatte, als er fürchten mußte, mit leeren Händen zu Modesty Blaise zurückzukehren!
»Ist gut, Willie«, meinte sie ruhig, »ich werde keine Angst haben.«
Am nächsten Tag wollten sie nach Hause fliegen, und an diesem letzten Abend ihres Urlaubs ging Willie mit Molly ins Casino, wo sie zu Abend aßen, tanzten und ein wenig spielten. Dann kehrten sie in die Villa zurück. Diese befand sich nur wenige Kilometer von Ghar Lapsi entfernt auf den Dingli-Klippen und gehörte, wie so viele andere nur gelegentliche Wohnsitze in der ganzen Welt, zu gleichen Teilen Modesty Blaise und Willie Garvin. Sie war durch ein ausgeklügeltes Alarmsystem gesichert.
In dem großen Bett lag Molly Chens zierliche Gestalt beim gedämpften Licht der Nachtischlampe auf Willie Garvin. Sie fuhr mit den Fingerspitzen sanft durch sein Haar und lächelte ihm in die Augen.
»Es war ein wunderschöner Urlaub, Willie. Ich hab ihn sehr genossen.«
»Ich auch, Molly. Normalerweise steh ich zwar nicht auf magere kleine Chinesinnen, aber – au!« Sie hatte ihn ins Ohrläppchen gekniffen und ihm so das Wort abgeschnitten. Nun beugte sie sich vor, um ihn sanft in die Schulter zu beißen, bevor sie den Kopf auf seine Brust bettete.
»Ich wette, du nimmst das zurück, bevor wir schlafen gehen.«
Er lachte leise, strich ihr im Liegen sanft über den Rücken und dachte daran, wie glücklich er sich in jeder Hinsicht fühlte und welch angenehme Gesellschaft Molly Chen mit ihren sanften Händen, ihrem warmen kleinen Körper und ihrer Kunst, sich den Freuden der Liebe genußvoll und ohne Hast hinzugeben, war. Nach einer Weile sagte sie: »Du bist so anders, Willie, es ist kaum zu glauben. Ich meine, anders als der Mann, der damals in das Büro meines Großvaters gekommen ist, kurz nachdem Wei Lu als Gefangener nach Rotchina gebracht worden war.«
»Sicher«, sagte Willie und gab ihr einen Klaps auf das Hinterteil. »Ich habe mich sehr verändert.«
Sie hob den Kopf, um ihn wieder anzusehen und strich mit einem Finger über seine Unterlippe. »Du hattest damals so viel Angst. Angst vor Modesty Blaise.«
Er lächelte träge. »Ich habe fürchterliche Angst gehabt, aber nicht vor Modesty Blaise. Ich hatte nur Angst, daß ich den Job vermaßle, den sie mir gegeben hatte.«
»Aber du hast ihn nicht vermasselt. Und jetzt bist du ein anderer Mensch. Ich freu mich so für
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