Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
hinunterkam, schnitt Modesty gerade Brot in Scheiben, und auf der Arbeitsplatte neben dem Herd lagen Eier und Schinken bereit. Sie trug eine Bluse, einen Faltenrock und Sandalen ohne Strümpfe. Sie hatte ihr Haar lose nach hinten gebunden und war völlig ungeschminkt. Sie lächelte ihm zu, und Danny begann den Tisch zu decken, während er sie beim Kochen beobachtete und seine Gedanken zurückschweifen ließ. Als Modesty ihn in den Anfangstagen des Netzes angeworben hatte, hatte er ein wenig Angst vor ihr gehabt. Den meisten ihrer Leute ging es so. Es war ihm niemals in den Sinn gekommen, bei ihr seine spezielle Begabung, für jede Frau unwiderstehlich zu sein, einzusetzen. Zwei oder drei Jahre später, als sie ihn auf einen Routineeinsatz geschickt hatte, um eine Frau zu verführen, von der sie Informationen brauchte, war es für ihn ein Schock gewesen, als er in dem Hotel in Lanzarote feststellen mußte, daß sie ihm einen falschen Namen angegeben hatte und selbst der Gegenstand seiner Mission war.
In den darauffolgenden Tagen kam er dahinter, daß Modesty durch zwei Vergewaltigungen in ihrer Kindheit einen emotionellen Schock davongetragen hatte.
Hinter der Fassade der gefürchteten und erfolgreichen Begründerin des Netzes verbarg sich eine Frau, die auf sexuellem Gebiet Angst vor Männern hatte. Seine Aufgabe war es, ihr diese Angst zu nehmen. Es war ihm geglückt, sanft, geduldig, mit jener aufrichtigen Zuneigung und Hingabe, die er in sich entstehen lassen konnte und die wahrscheinlich das Geheimnis seines Erfolges bei Frauen war.
Es war seine letzte Mission für Modesty gewesen, und er wußte das schon damals, wußte, daß sie ihn nicht weiter im Netz behalten konnte, nachdem sie seine Geliebte geworden war. Sie waren nicht in Unfrieden auseinandergegangen und Modesty hatte großzügig für ihn vorgesorgt. Und, was für ihn weit mehr zählte, sie waren Freunde geworden. Voller Schaudern dachte er an Limbo zurück, an jene bizarre Plantage im Dschungel von Guatemala, wohin einige der reichsten Männer und Frauen der Welt als Gefangene gebracht worden waren und Sklavendienste leisten mußten. Seine eigene Gefangennahme war ein Zufall gewesen, aber immerhin hatte er drei Jahre lang in Limbo ausharren müssen, bevor Modesty Blaise durch eine Laune des Schicksals Verdacht geschöpft hatte. Er erinnerte sich an ihre Ankunft und die Willie Garvins und an die fürchterliche Schlacht am letzten Tag in Limbo.
Als er sie nun sah, so entspannt und fröhlich, fühlte er sich ungeheuer glücklich, auch etwas dazu beigetragen zu haben, das sie zu dem gemacht hatte, was sie heute war. Natürlich war es nicht allein sein Verdienst.
Er hatte beobachtet, wie Modesty aus Willie Garvin einen neuen Menschen gemacht hatte, aber das war keine einseitige Angelegenheit gewesen, da Willie ihr seinerseits sehr viel zurückgegeben hatte. Danny Chavasse erinnerte sich daran, daß er bei Modesty das erste Mal eine Andeutung von Lächeln gesehen hatte, als Willie nach seiner außerordentlichen Leistung, Wei Lu aus Rotchina herauszuholen, zu ihr nach Tanger gekommen war. Später hatte er sie dann wirklich lächeln und sogar lachen gesehen. Das war Willie Garvins Geschenk an sie, und mit den Jahren hatte Modesty um die Augen herum kleine Lachfalten bekommen, die ihr, so seltsam es schien, ein jüngeres Aussehen verliehen.
Die Limbo-Affäre hatte lange, nachdem Modesty das Netz aufgelöst und sich zur Ruhe gesetzt hatte, stattgefunden. Nach seiner Rettung mit den übrigen Gefangenen hatte Danny Chavasse sie immer wieder besucht, entweder in ihrem Penthouse in London oder im Landhaus in Wiltshire, wo er vor drei Tagen eingetroffen war. Modesty betrachtete ihre Schuld ihm gegenüber für die Rettung ihres weiblichen Empfindens noch immer als offen, und Danny wußte, daß er stets ein gerngesehener Gast bei ihr war. Von Beruf war er nun Geschäftsführer eines Vergnügungsschiffes, ein idealer Job für ihn, und zur Zeit hatte er sechs Wochen Urlaub.
Als der Tisch gedeckt war, setzte Danny sich und fragte: »Machst du dir Sorgen um Willie?«
Modesty schnitt die Schwarte vom Speck ab und antwortete nachdenklich: »Vielleicht ein kleines bißchen. Wir können es uns einfach nicht leisten, allzusehr um einander besorgt zu sein. Sonst wären wir jetzt schon alt und grau.«
»Wußte er gestern abend bei seinem Anruf aus Malta schon, wer versucht hat, ihn zu töten?«
»Nein, Danny. Er hat mir die ganze Geschichte in einer Mischung aus
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