Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
vorherbestimmt sein sollte, daß sie diesmal verlieren würden.
Aber wenn es so sein mußte, konnte Willie Garvin sich nicht beklagen. Er war in den letzten zehn Jahren einer der glücklichsten und zufriedensten Menschen gewesen, und er hätte es kaum besser treffen können.
Er hob sein Schwert auf, schwang es durch die Luft, fing es beim Griff auf und runzelte leicht die Stirn. »Für mich ist es okay, Prinzessin. Sie wissen nicht, daß für mich ein Schwert nichts anderes als ein großes Messer ist. Ich kann damit auf dreißig Meter Kazim oder wen immer treffen. Aber du mußt mit einer Waffe in einen Zweikampf gehen, die du vorher noch nie benützt hast.«
Sie zuckte die Achseln. »Ich werd’s schon schaffen. Sie könnten ja sowieso etwas für uns auf Lager haben, mit dem wir überhaupt nicht rechnen. Lassen wir also alle Spekulationen sein. Warten wir, bis wir das Spiel kennen, und entscheiden wir dann unsere Taktik.«
»Natürlich.«
Er setzte sich auf seine Koje und beobachtete sie. Sie schloß die Augen und begann, das Schwert in ihrer Hand zu befühlen, seine Form, seine Struktur, seinen Aufbau, fuhr mit den Fingern leicht über Griff und Schneide, und stellte einen Bezug zu ihm her, als wäre es ein empfindungsfähiges Wesen.
Willie legte sein eigenes Schwert beiseite. Er betrachtete kurz den mit Bronze eingefaßten Schild aus Büffelhaut, hob ihn dann auf und begann seine Qualitäten zu beurteilen, wobei er vorsichtig versuchte, eine Harmonie zwischen diesem leblosen Gegenstand und sich selbst herzustellen.
Der Hof des Klosters war ein großes, von zweistöckigen Gebäuden eingefaßtes Rechteck, auf dessen beiden Schmalseiten über die gesamte Länge ein zurückgesetzter Balkon verlief. Es gab mehrere vom Hof in das Erdgeschoß führende Türen und kleine Fenster, die alle geschlossen waren. An einem Ende standen die hölzernen Torflügel eines großen Durchgangs offen, durch den sogar ein Lastwagen fahren konnte. Um den Hof herum führte ein mit Steinfliesen belegter Weg, der eine Fläche von staubiger, festgetretener Erde umgab.
Modesty Blaise und Willie Garvin, denen in sicherer Entfernung drei Männer mit Maschinenpistolen folgten, kamen durch den Torbogen. Beide trugen Helm und Rüstung der Secutores, hielten die Schwerter in der Hand und hatten die Schilde am Arm. Etliche Leute blickten ihnen vom Balkon am oberen Ende entgegen, und Modesty sah auf den ersten Blick das heiligenscheinähnliche weiße Haar des Mannes mit dem großen schwammigen Gesicht über der braunen Kutte. Er saß in der Mitte des langen Balkons hinter dem niedrigen Geländer, Mrs. Ram zu seiner Rechten. Links und rechts befand sich je eine Gruppe anderer Leute, darunter eine Frau mit breiten Schultern und kurzem rotem Haar. Abgesehen von Sibyl und Kazim, Tyl und Mrs. Ram hatte sich Willie nur vage an jene Personen erinnern können, denen er in seiner Traumphase auf Kalivari begegnet war. Diese Frau dort war aber ohne jeden Zweifel die allen als Miss Johnson bekannte Dame.
Neben Mrs. Ram war Dr. Tyl die einzige Person unter den Zuschauern, die Modesty zuvor aus der Nähe gesehen hatte. Er saß ein wenig abseits von den übrigen am westlichen Ende des Balkons. Als sie einen Blick zurück warf, während sie mit Willie weiter zur Mitte des Hofes ging, sah sie, daß zwei der Begleitwachen sich an der Eingangsseite an beiden Ecken des Hofes aufgestellt hatten, während der dritte Mann beim offenen Tor blieb. Auf dem Balkon oberhalb des Einganges befanden sich ungefähr ein Dutzend weiterer Männer.
In der Mitte des Hofes bildeten vier jeweils ungefähr einen Meter hohe Steinsockel nochmals ein weitaus kleineres Rechteck. Vielleicht waren die Sockel einmal dazu bestimmt gewesen, die Statuen griechischer oder römischer Götter oder Heiliger zur Inspiration der schon längst verschwundenen Mönche zu tragen. Falls sich hier jemals solche Statuen befunden haben mochten, waren sie auf jeden Fall schon vor langer Zeit entfernt worden. Modesty und Willie gingen gemeinsam zwischen den ersten beiden Sockeln durch und schritten im Gleichschritt weiter. Sie wußten, daß das, falls sie überlebten, rückblickend eine völlig irrwitzige Situation sein würde. Aber hier, in der Morgensonne der Ägäis, in diesem speziellen Augenblick, wußten sie, daß jetzt der Zeitpunkt gekommen war, zu töten oder selbst getötet zu werden. Und darin lag nicht mehr Irrwitz als in den Abschlachtungen eines Clowns namens Nero. Es herrschte nur rohe
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