Modesty Blaise 12: Die Lady läßt es blitzen
fühlten sich erleichtert, daß schließlich wenigstens irgend etwas passieren sollte. In den letzten Tagen hatte sich Willies Zustand sehr rasch gebessert, und sie hatten viele Stunden mit körperlichem Training und mentalen Übungen verbracht. Es hatte sich nicht die kleinste Chance einer Flucht ergeben. Die schwere Tür war zweifach verriegelt, und draußen standen zwei Wachen. Das enge Fenstergitter bestand aus dicht nebeneinandergesetzten Stäben, und selbst wenn es ihnen gelungen wäre, das Gitter zu entfernen, wäre nicht einmal ein Kind durch die enge Öffnung hinausgelangt.
Die Kojen waren aus Holz, und es fand sich kein behelfsmäßiges Werkzeug aus Metall, das man als Brecheisen verwenden konnte oder zum Graben eines Tunnels. Es hatte keinerlei Möglichkeiten zu einem Überraschungsangriff gegeben. Wenn das Essen gebracht oder die Zelle gereinigt wurde, wenn irgend jemand die Zelle aus irgendeinem Grund betrat, wurden die beiden mit einer durch das Gitter auf sie gerichteten Maschinenpistole in Schach gehalten und mußten die ganze Zeit über auf den Kojen liegenbleiben. Außer den Wachen und der Inderin hatten sie nur noch eine weitere Person gesehen, einen Mann, der die Inderin einmal begleitet hatte. Die beiden hatten einander mit Mrs. Ram und Dr. Tyl angesprochen.
Dr. Tyl hatte einige Worte in einer Sprache an Willie gerichtet, die Modesty für Tschechisch hielt. Er schien zu erwarten oder zu hoffen, daß irgend etwas geschehen würde, und als keinerlei Reaktion erfolgte, ging er mit unglücklicher Miene davon. Willie erkannte ihn als den Mann wieder, den er für Garcia halten hätte sollen und der an ihm die Gehirnwäsche durchgeführt hatte. Sie kamen zu dem Schluß, daß die tschechischen Worte unter Narkohypnose eingegebene Auslöser waren, durch deren bloße Erwähnung Dr. Tyl Willie Garvin jederzeit in einen Zustand tiefer Hypnose versetzen konnte. Als der Mann gegangen war und sie wieder allein waren, sagte Willie nachdenklich: »Schade, daß ich nicht früher mitbekommen habe, was er beabsichtigte, Prinzessin. Ich hätte so tun können, als hätte es gewirkt. Wäre eine Chance gewesen, etwas zu erfahren oder vielleicht sogar etwas zu tun.«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht. Aber ich begnüge mich mit der Tatsache, daß dieser Scheißkerl aus deinem Gedächtnis verbannt ist, Willie. Ich will an das alles nicht einmal mehr denken.«
Willie nickte. »Das Schlimmste, das ich jemals erlebt habe«, meinte er ohne sichtliche Erregung. »Bevor das hier vorbei ist, Prinzessin, werde ich den Kerl umbringen.« Seine Stimme klang gleichgültig. Aber bevor er sich hinlegte und die Augen schloß, bemerkte sie ein verdächtiges Schimmern darin, das ihr sagte, daß selbst unter den gegebenen Umständen Dr. Tyls Zukunft sicherlich von kurzer Dauer sein würde.
Sein Besuch hatte an ihrem zweiten Tag in der Zelle stattgefunden, und seither hatten sie keinerlei Anzeichen dafür erhalten, was ihnen bevorstand – bis vor einer Stunde. Da hatte man Schwerter, runde Schilde und für beide in der entsprechenden Größe Gewand und Rüstung, wie sie die römischen Gladiatoren vor zweitausend Jahren getragen hatten, in die Zelle gebracht. Da jede Weigerung zwecklos gewesen wäre, hatten sie sich widerstandslos angezogen. Es war besser, sich dem zu stellen, was man für sie geplant hatte, und auf eine neue Gelegenheit zu hoffen. Nichts konnte weniger Chancen bieten als die letzten sechs Tage Arrest in der Zelle. Modesty kreiste mit der rechten Schulter und schüttelte dann den Kopf. »Nimm den Schulterschutz bitte weg, Willie. Wenn diese Irren hier erwarten, daß wir gegen jemanden kämpfen, dann ziehe ich Schnelligkeit der Rüstung vor. Ich bin mir nicht einmal über den Brustharnisch und den Rock sicher.«
Willie nickte zustimmend und begann den Schulterschutz abzuschnallen. Das römische Schwert war zum Schlagen besser geeignet als zum Stoßen. Aber da sie eine ausgezeichnete Fechterin war, würde sie eher die Spitze als die Schneide einsetzen. Ihr Gleichgewicht würde, ungehindert durch die Rüstung, besser sein. Er mußte auch noch entscheiden, was er selbst vorzog.
Das hing von einer Reihe derzeit noch unbekannter Faktoren ab.
Das wenige, das Modesty und er über die Leute auf Kalivari herausgefunden hatte, war verwirrend. Zweifelsohne operierte hier eine außerordentlich fähige kriminelle Organisation, die aber hauptsächlich damit beschäftigt schien, sich tödliche und komplexe Schachzüge
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