Möhrchenprinz - Roman
fair gehandelt?«, fragte er.
»Klar«, murmelte ich.
Im Geiste erstellte ich bereits eine ganze Liste von Dingen, die ich dringend erledigen wollte. Das Kostüm musste in die Reinigung, ich brauchte mehr Blusen, neue Schuhe, musste waschen und bügeln, und zu essen war auch nichts mehr im Haus. Conny und Mike hatten meine Einkäufe der letzten Tage aus dem Kühlschrank gemopst, während ich arbeiten war, und abends hatte ich keine Kraft mehr gehabt, die beiden Schmarotzer zur Rede zu stellen oder Nachschub zu kaufen.
»Ich werde nämlich ab sofort Verantwortung für mein Handeln übernehmen.«
»Bisher hast du völlig verantwortungslos gehandelt?«, fragte ich überrascht.
»Nein, ich meine – ja. Irgendwie schon.«
»Komisch. Ich erinnere mich daran, dass dich gerade die Verantwortung für die Milliardendeals so an deinem Job gereizt hat.«
Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, das meine ich nicht. Das ist ja nur Geld.«
Dieser Spruch aus dem Mund meines Bruders jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich betrachtete ihn besorgt. »Hast du Fieber?«
»Was ich jetzt meine, ist Verantwortung im echten Leben.Für die Umwelt und meine Mitmenschen. Sowohl die jetzigen als auch die nachfolgenden Generationen.«
Das klang verdächtig nach dem Untertitel eines beliebigen Lehrbuches aus Svenjas Studium der Sozialen Ökologie. Ich kniff die Augen zusammen und versuchte, den Mann, der mir an meinem Küchentisch gegenübersaß, völlig unvoreingenommen und sachlich zu analysieren.
»Du hast den Verstand verloren«, lautete meine Diagnose.
»Das Herz, nicht den Verstand.« Der Feststellung folgte ein langer Seufzer. »Hätte ich sie doch früher kennengelernt! Ich hätte sie von dieser Reise abhalten können und wir hätten mehr Zeit miteinander gehabt.«
Diesen Daniel, der sich selbst für den Mittelpunkt des Universums hielt und davon ausging, dass alle anderen Planeten, Monde oder sonstiger Weltraumschrott nur um ihn kreisten, erkannte ich nicht wieder.
»Wenn du sie so sehr liebst, solltest du nicht danach streben, sie von der Verwirklichung ihrer Träume abzuhalten«, neckte ich ihn.
»Du hast recht«, gab Daniel nach einer Weile zu.
Der Schauer kroch jetzt auch die Arme empor.
»Ach, ich muss so viel Neues bedenken. Als Erstes wollen wir mal feststellen, wie das mit dem Kaffee ist.«
»Woher weißt du überhaupt, dass es fair gehandelten Kaffee gibt?«, fragte ich.
»Glaubst du vielleicht, ich lebe hinter dem Mond?«
»Schlimmer«, sagte ich. »Ich glaube, du lebst in einem Paralleluniversum, in dem die Erde keine Kugel sondern eine Goldmünze ist, von deren Rand man heruntergestoßen wird, wenn man nicht genug Kohle hat.«
Daniel schien mich gar nicht zu hören, denn er stand kommentarlos auf und studierte die klein gedruckten Informationen des Kaffeepäckchens. »Fair gehandelt, abernicht bio. Das solltest du unbedingt ändern. Ab sofort gibt es nur noch Bio-Kaffee.«
Er warf das noch halb volle Päckchen in den Mülleimer.
Mühsam kontrollierte ich meine Schnappatmung. »Wenn du dein Leben ändern willst, tu es von Herzen gern, liebstes Brüderlein«, flötete ich mit einem zugegebenermaßen leicht ätzenden Unterton. »Aber lass mich damit in Frieden.«
»Verantwortung übernehmen«, murmelte Daniel, während er seine Jacke vom Stuhl nahm und zur Tür ging. »Für sich und andere.«
3
Ich holte den Kaffee aus dem Müll und räumte meinen Tisch und einige Regale in Svenjas Zimmer, für das ich anteilig die Miete übernahm. Alleine mit Conny und Mike in der Wohnung fühlte ich mich wie eine Zoowärterin, die dafür sorgte, dass die Faultiere zu fressen und ein sauberes Klo hatten, und hoffte, dass der Zustand nicht lange andauern würde. Mit dem zusätzlichen Raum hatte ich immerhin etwas mehr Platz. Da Svenjas Zimmer nach Westen ging, schien abends nach der Arbeit noch ein bisschen Sonne hinein und – sofern die Tür nicht klemmte – würde ich, sobald das Wetter sich besserte, sogar den Balkon nutzen können. Wenn ich nicht bis zum Frühjahr bereits eine eigene Wohnung hatte, was ich schwer hoffte.
Zunächst arbeitete ich allerdings abends so lang, dass die Sonne das leere Zimmer beschien und schon lang untergegangen war, bis ich zu Hause ankam.
Das herausragende Büroereignis dieser ersten Märzwoche hatte nichts mit der Marketingkampagne für exotische Fleischsorten zu tun, sondern hieß Martina.
»Cooles Büro«, sagte eine Stimme von der offenen Tür her. Es war Viertel nach
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