Möhrchenprinz - Roman
zwischen euch?«, fragte ich, nachdem ich meine erste Arbeitswoche überstanden hatte und wieder in der Lage war, mich für meine Umwelt zu interessieren.
»Er bildet sich ein, dass ich die Frau seines Lebens bin«, erklärte Svenja in ihrer unnachahmlichen Art, als ginge sie all das nichts an. Als sei sie ein Wesen von einem anderenStern, das unter Menschen gestrandet war und diese zwar wohlwollend aber distanziert betrachtete. Dabei wirkte sie weder hochnäsig noch unfreundlich, sondern einfach – entrückt.
»Und jetzt versucht er, dich davon zu überzeugen?«, fragte ich.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Was hältst du von ihm?«
Svenja sah mich halb spöttisch halb ungläubig an. »Er repräsentiert alles, was in dieser Welt falsch läuft. Sein ganzes Leben dreht sich um Geld. Er scheffelt es als Selbstzweck und verprasst es für Dinge, die absolut wertlos sind. Für Klamotten, Uhren, Wohnungen, die er nicht bewohnt, und ein Auto, das an dreihundertfünfzig Tagen im Jahr auf seinem teuer bezahlten Platz in der Tiefgarage steht. Er …«
»Schon gut«, sagte ich. Grundsatzdiskussionen mit Svenja konnten ermüdend sein.
»Leute wie Daniel sind der Grund dafür, dass ich diese sogenannte zivilisierte, westliche Welt verlasse und nach Indien gehe. Leute wie er geben hier den Ton an. Dein Bruder steht für einen Lebensstil, der immer noch als erstrebenswert gilt. Er steht für die vollkommene Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz.«
»Er ist der Antichrist«, schlug ich vor.
»Das Christentum ist genauso fatal wie alle anderen monotheistischen Religionen mit ihrem Absolutheitsanspruch.«
Svenja wirkte weiterhin heiter und gelassen, während sie ihre Weltanschauung darlegte, in der mein Bruder eine wichtige Rolle im Reich des Bösen spielte.
»Gibt es gar nichts, was dir an ihm gefällt?«, fragte ich neugierig.
»Doch.« Svenja lächelte. »Er ist charmant.«
Der so Gelobte stand wenige Tage später in unserer Diele und bat um eine Audienz bei Svenja. Er trug eine schlichte Jeans, ein einfaches Hemd und ein paar Chucks, die ich seit Jahren nicht an ihm gesehen hatte. Aber es waren seine, das erkannte ich an den Graffitis, die ich im zarten Alter von zwölf Jahren auf die Schuhe gemalt hatte, damit mein Bruder ein bisschen cooler wirkte. Ich war geschockt, dass er die alten Dinger überhaupt noch besaß.
Ich musste wohl vorübergehend einen leicht katatonischen Eindruck gemacht haben, denn er schnippte mit den Fingern vor meiner Nase herum und erkundigte sich besorgt, ob mir nicht gut sei.
»Alles prima«, erklärte ich. »Klopf ruhig bei Svenja, sie schläft noch. Ich muss zur Arbeit.«
Vielleicht wäre die Katastrophe abwendbar gewesen, wenn Svenja geblieben wäre. Daniel wäre ihr noch eine Zeit lang wie ein Hündchen nachgelaufen, aber irgendwann hätte er festgestellt, dass auch die schönste Liebe nichts taugt, wenn sie nicht erwidert wird. Abwesende Geliebte allerdings können nicht enttäuschen. Sie können nicht langweilen und müssen sich nicht im Alltag bewähren. Stattdessen bieten sie Projektionsmöglichkeiten für alles, was das liebende Herz sich wünscht und idealistisch überhöht. Insofern besiegelte der Tag, an dem Svenja nach Indien aufbrach, mein Schicksal.
Um neun Uhr klingelte Daniel an der Haustür und Svenja beendete die Meditation in ihrem nun fast leeren Zimmer. Daniel umarmte mich, ohne mich wirklich wahrzunehmen, und griff dann nach Svenjas Gepäck. Ein großer Koffer und ein Trekkingrucksack enthielten ihre Garderobe nebst Klangschalen und Gebetsmühlen. Zwei Kartons mit weiteren Habseligkeiten warteten im Keller auf ihre Rückkehr, ihre Möbel hatte sie in den letzten Tagen an Selbstabholerverschenkt, nur ein Regal und einen Sessel hatte sie mir vermacht.
Svenja blickte sich noch einmal aufmerksam um, dann umarmte sie mich.
»Pass auf deine Füße auf«, sagte sie mit ihrem überirdischen Lächeln, dann schritt sie leichtfüßig hinter Daniel her.
Daniel lud Svenjas Gepäck in den Kofferraum seines citytauglichen Geländewagens, dessen Anschaffungspreis weit über dem lag, was ich für eine Eigentumswohnung zu zahlen bereit gewesen wäre, und half ihr auf den Beifahrersitz.
»So kommt das gute Stück doch mal zu einem sinnvollen Einsatz«, sagte er, während er sich in den fließenden Verkehr drängelte. Auf eine Lücke zwischen zwei Autos zu warten gehörte nicht zu seinem Fahrstil.
Ich verkürze die Darstellung der folgenden eineinhalb Stunden, obwohl Daniel sie
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