Möhrchenprinz - Roman
Stimme vom Rednerpult.
»Ich muss jetzt los«, sagte ich und stürmte davon. Die Unterbrechung kam mir gerade recht.
Ken trug die Fakten in seiner ebenso kompetenten wie lässigen Art vor und beantwortete Fragen nach den Produkten, dem Store, den Geschäftszahlen und natürlich nach dem Kinderdorf. Dabei erfuhr ich, dass er selbst in einem solchen Dorf aufgewachsen war und sich der Organisation daher verbunden fühlte. Die Journalisten nahmen diese Information interessiert auf und fragten weiter, Ken ließ keine Antwort aus.
Die Atmosphäre hatte sich verändert. Von der latenten Langeweile der Journalisten, die sie routinemäßigen Pressekonferenzen eines Großunternehmens entgegenbringen, war nichts mehr zu spüren. Ich stellte fest, dass ich stolz war, Teil dieses Teams zu sein.
»In Zukunft werden Sie häufig mit Frau Tutz zu tun haben, sie ist verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit hier in Düsseldorf. Leo, kommst du mal hoch?«
Das hatten wir nicht abgesprochen und da ich durch Thomas’ Anwesenheit sowieso ein bisschen aus dem Konzept war, machte mich die Aufforderung kurz nervös, aber Ken empfing mich auf dem winzigen Podest am Rednerpult mit einem so strahlenden Lächeln, dass meine Aufregung verflog. »Wir zwei stehen Ihnen gern noch für persönliche Rückfragen zur Verfügung. Denjenigen, die sich jetzt schon verabschieden möchten, wünschen wir noch einen schönen Tag und bis bald.«
Die Radioleute belagerten Ken, um knackige O-Töne zu bekommen, und ich geriet schnell an den Rand des Pulks. Ich suchte Thomas und fand ihn mit Kollegen am Kaffeeautomaten. Er bemerkte mich und löste sich aus der Gruppe.
»Warum hast du den Kontakt zu Daniel abgebrochen?«, fragte ich.
Er schaute mich nachdenklich an. »Ich musste irgendwann in mein echtes Leben zurück. Arbeiten, Geld verdienen, solche langweiligen Sachen.« Er ließ den Ansatz eines Grinsens sehen. »Ich bin kein reicher Revolutionär. Und zwar weder reich noch Revolutionär.«
»Daniel hat dich vermisst«, sagte ich.
»Nur Daniel?«, fragte Thomas.
Da war sie, diese Frage. Mein Herz klopfte laut und unregelmäßig. »Wer sonst?«, fragte ich betont lässig.
»Du?«
Thomas blickte mir in die Augen. »Ich habe dich jedenfalls vermisst. Sehr sogar. Daniel auch, und den Unfug, den wir gemeinsam angestellt haben, das war wie ein Rückfall in Kinderzeiten, wo man jeden Tag einen neuen Streich ausheckt.«
Seine grünen Augen strahlten.
»Aber vor allem habe ich dich vermisst.«
»Du hättest ja nicht gleich vom Erdboden verschwinden müssen«, sagte ich.
Thomas wurde ernst. »Ich habe die Flucht ergriffen, weil ich dir gegenüber ein schlechtes Gewissen hatte und auf Daniel sauer war. Weil er – und als Mitglied von Hot Spott ja auch ich – dir deinen Job versaut haben. Und deine Liebe …«
Ich lächelte. Dann kicherte ich und dann lachte ich lauthals.
Einige Köpfe drehten sich zu mir um, aber das war mir völlig schnuppe.
Thomas schaute erst verunsichert, aber dann breitete sich ein Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Genau so albern warst du auch, als ich dich kennengelernt habe. Du hast mit Daniel eine Wasserschlacht in der Küche ausgetragen, weißt du noch?«
Ich beruhigte mich langsam und nickte. »Im Moment bin ich aber gar nicht albern. Ich habe nur inzwischen kapiert, dass ihr mir mit eurer Job-weg-Aktion den größten Gefallen meines Lebens getan habt.«
Thomas Grinsen wurde zu einem Strahlen. »Gibt es für diesen Gefallen eine Belohnung?«
»Welche Art Belohnung stellst du dir denn vor?«, fragte ich neckisch.
»Nudeln.«
Ich tat, als müsse ich darüber nachdenken.
»Für den Anfang«, fügte Thomas hinzu.
»Leo, kommst du mal kurz?«, rief Ken.
»Sofort!«, rief ich zurück, ohne den Blick von Thomas zu wenden.
»Ja«, sagte ich. »Nudeln – für den Anfang.«
»Wann hast du Feierabend?«, fragte Thomas.
»Um acht.«
»Ich hole dich ab.«
Ich beugte mich vor und drückte Thomas einen Kuss auf den Mund, dann drehte ich mich um und ging zu meinem Boss.
Sieben Stunden und siebenundvierzig Minuten bis zum Feierabend.
Sieben Stunden und siebenundvierzig Minuten im tollsten Job der Welt.
Mein Tag war gerettet.
Dank
Klaus Meyer, Leiter des Amtes für Verbraucherschutz in Düsseldorf, hat mir in einem ausführlichen Telefonat bereitwillig wichtige Informationen über den Umgang mit potenziell verunreinigtem Fleisch gegeben und dadurch einige peinliche Fehler in meiner Geschichte verhindert. Anett und
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