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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sechs verschwitzt aus einem Albtraum erwacht war, in dem ich inmitten Hunderter toter Schweine auf einer abschüssigen Rampe Richtung Fleischwolf rutschte.
    Wir wurden an der Pforte in Empfang genommen, bekamen Überschuhe, Kittel und Hauben, die wie Duschhauben aussahen und sich ähnlich unangenehm anfühlten.
    Ein groß gewachsener Mann von Mitte fünfzig, dessen Namensschild ihn gleich als Betriebsleiter Ernst Daubinger kenntlich machte, begrüßte PS mit einem verschwörerischen Grinsen und mich mit einem prüfenden Blick.
    »Hält sie durch?«, fragte er PS.
    »Keine Frage.«
    PS zwinkerte mir zu und ich zwang mich zu einem Lächeln, das hoffentlich zuversichtlicher aussah, als es sich anfühlte.
    Daubinger führte uns um das riesige, weiße Gebäude herum zur Abladerampe. Drei Sattelzüge standen an den hermetisch abgeriegelten Rampen und nur an den rot blinkenden Warnlampen war zu erkennen, dass sie offenbar gerade entladen wurden. Ich hätte erwartet, die Schweine quieken zu hören, aber es war gespenstisch still.
    »Fünfzehntausend Schweine machen wir am Tag, damit sind wir die zweitgrößte Schlachtung in Deutschland.«
    Fünfzehntausend am Tag machte sechshundertfünfundzwanzig pro Stunde, machte mehr als zehn Schweine pro Minute, kalkulierte ich heimlich. Was als Rechenaufgabe zur Ablenkung vom Geschäft des Tötens gedacht war, machte mir die Ungeheuerlichkeit des Massenmordes erst recht deutlich. Vielleicht sollte ich den grausigen Erläuterungen des bulligen Herrn Daubinger ab sofort gar nicht mehr zuhören. Ich ahnte allerdings schon, dass mir das nicht gelingen würde.
    Er öffnete eine Tür, durch die wir in die Halle traten, genauer gesagt in einen Gang, von dem aus wir einen hervorragenden Blick auf die weiteren Stationen des Schlachtbetriebs hatten. Zunächst blickten wir in eine große Halle voller Schweine.
    »Hier ist die Ruhezone, damit sich die Tiere nach der Aufregung des Transports etwas erholen können.«
    Ich wusste, dass die Erholung nicht der Beruhigung der Tiere sondern der Fleischqualität diente, denn zu viel Adrenalin im Blut führte zu einem strengen Geschmack.
    »Dort hinten geht es dann weiter, da können wir nicht rein. Dort werden die Tiere betäubt.«
    Er zeigte auf ein Tor in der Wand, durch das jeweils sechs oder sieben Tiere in den dahinter liegenden Bereich geleitet wurden.
    »Aber den nächsten Schritt können wir wieder aus der Nähe sehen.«
    Daubinger grinste mich erwartungsvoll an. Der nächste Schritt? Das konnte ja nur die Schlachtung sein.
    Tatsächlich traten wir am Ende des Ganges durch eine Tür und standen praktisch direkt vor dem kopfunter baumelnden Kadaver eines Schweins. Der Geruch, der uns hier entgegenschlug, war süßlich, es war deutlich wärmer. Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Kopf sackte.
    »Geht es noch?«, fragte PS hinter mir. »Sie sind ein bisschen blass um die Nase.«
    »Alles prima«, quetschte ich hervor. »Ist nur der Temperaturwechsel.«
    Ich rang mir ein Lächeln ab, das vermutlich nach Bauchspeicheldrüsenentzündung aussah, aber PS nickte und klopfte mir auf die Schulter. »Gut.«
    Vor meinem geistigen Auge liefen Bilder von Besuchen im Streichelzoo ab, die ich meinen Eltern jahrelang jeden Sonntag aufgezwungen hatte. Ich liebte die Ziegen und die Schweine. Kaninchen auch, aber die waren ja mehr für die Kleinkinder. Ich mochte die Rüssel der Borstenviecher und ihre Schlappohren. Wenn die Tiere so richtig dreckig waren, fühlte ich mich ihnen verbunden. Meine Mutter hatte sich jahrelang beklagt, dass ich jeden Sonntag eine komplette Garnitur einschließlich Schuhen mit stinkendem Schlamm einsaute. Ich hingegen bettelte um ein eigenes Schwein. UnserePositionen waren unvereinbar, meine Mutter saß am längeren Hebel.
    Ein Schlag auf den Kopf brachte mich in die Gegenwart zurück. Es war kein Schlag, wie sich schnell herausstellte, sondern ein Schutzhelm, den PS mir aufgesetzt hatte.
    »Helmpflicht«, sagte Daubinger fröhlich. »Aber keine Sorge, diese Schweine hier können nicht mehr fliegen.«
    Der Betriebsleiter erläuterte die einzelnen Stationen mit Genuss und guter Laune. »Nach zwei Minuten Betäubung mit Kohlendioxid werden die Tiere angehängt und kopfüber am Band zum Halsbruststich gebracht. Den sehen wir hier.«
    Zwei Männer standen sich gegenüber, zwischen ihnen zogen die betäubten Schweine kopfunter hängend vorbei. Jeder von ihnen hielt eine Vorrichtung in der Hand, die ich in kleinerem Maßstab von der Blutspende

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