Möhrchenprinz - Roman
mir in allen Details schilderte, wie er überhaupt ab diesem Zeitpunkt sehr mitteilsam wurde, weshalb ich die Geschehnisse verhältnismäßig umfassend darstellen kann – auch solche, die ich nicht selbst miterlebt habe. Allerdings nehme ich mir die Freiheit, meine persönliche Sicht der Dinge in die Erzählung einfließen zu lassen. Schließlich ist dies mein Buch und nicht Daniels.
Svenja gestattete Daniel, ihr noch ein Glas heißes Wasser zu besorgen, und so zog er los zu der Kaffeebar, in der er als Geschäftsflieger Stammgast war. Svenja hatte erst Bedenken wegen der Ausrichtung der Theke gehabt, die nach Feng-Shui-Kriterien das Unglück anzog, aber dann hatte sie Daniel angewiesen, sich der Bar nur von der rechten Seite zu nähern und mit den Getränken nicht unter dem darüberhängenden Werbebanner durchzugehen. Daniel hieltsich an die Vorschriften und verlangte zwei Becher heißes Wasser.
»Nanu, heute keinen dreifachen Espresso?«, fragte die hübsche Frau an der Theke.
Daniel zwinkerte ihr zu. »Nein, nie mehr.«
Sie starrte ihn an.
»Kaffee ist eine Droge, sie sollte genauso verboten werden wie Alkohol und Nikotin.«
Daniel suchte nach Kleingeld.
»Was ist denn mit Ihnen passiert?«, fragte die Bedienung. »Früher konnten Sie nicht genug davon bekommen. Zweioder drei Dreifache hintereinander waren doch üblich, bevor Sie in den Flieger gestiegen sind.«
»Jetzt weiß ich es besser. Ich habe erkannt, wie schlecht mein Leben war.«
»Schlecht?«, fragte die Bedienung fassungslos und mit gerunzelter Stirn. »Sie sind in der ganzen Welt unterwegs, haben die tollsten Klamotten und Uhren und erzählen mir, dass Ihr Leben schlecht war? Wollen Sie mich verarschen?«
Daniel legte fünf Euro auf die Theke und griff nach den Bechern. »Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf: Suchen Sie sich einen neuen Job. Die Abflughalle ist eine Katastrophe, was die Lebensenergie angeht und speziell diese Bar ist nach Feng-Shui-Kriterien äußerst gefährlich. Hoffentlich werden Sie nicht krank!«
»Danke für den Tipp«, entgegnete die Bedienung ätzend. »Dann suche ich mir eben einfach einen neuen Job. Kein Problem, die Angebote stapeln sich ja in meinem Briefkasten.«
Und während Daniel sich von der Bar entfernte, hörte er noch, wie sie »arrogantes Arschloch« murmelte.
»Vielen Dank für deine Hilfe, Daniel«, sagte Svenja vor der Sicherheitsschleuse. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.
»Für dich tue ich alles«, quetschte Daniel um den Kloß in seinem Hals herum. »Sag mir einfach, was du willst.«
Svenja blickte ihn aus ihren Feenaugen ernst an. »Sei vorsichtig mit dem, was du versprichst.«
»Ich meine es ernst.«
Svenja legte den Kopf schief, dann erschien ein Lächeln auf ihrem Gesicht und sie nickte. »Gut, dann habe ich einen Wunsch: Schwöre dem Geld ab und richte dein Leben an echten Werten aus. An Fairness, Mitgefühl und, ja, obwohl das Wort abgenutzt ist, an Nachhaltigkeit. Übernimm Verantwortung für dein Tun.«
Daniel fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und hielt die Luft an. Dann stieß er sie heftig aus. »Okay«, sagte er und legte die rechte Hand auf sein Herz. »Ich schwöre, dass ich ab sofort nachhaltig handeln und leben werde.«
Svenja runzelte die Stirn. »Das ist ein Schwur, der dein Leben von Grund auf verändern wird.«
Daniel nickte. »Das ist mir klar.«
»Du wirst viele Menschen vor den Kopf stoßen, wenn du dich so fundamental änderst.«
Daniel nickte. »Die sind mir egal.«
Svenja zuckte zusammen. »Aber genau diese Die-anderen-sind-mir-egal-Haltung ist nicht gut, Daniel. Dadurch ist unsere Welt in diese Schieflage gekommen.«
»So meinte ich das auch nicht«, stammelte Daniel. »Ich meinte, dass ich jetzt ein Ziel habe, das den Konflikt wert ist.«
Svenja nickte.
»Wenn du wiederkommst, werde ich deiner würdig sein.«
»Du solltest das nicht für mich tun, sondern für dich, Daniel.«
Mein Bruder nickte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er mit Sicherheit noch keinerlei Ahnung, worauf er sich einließ.
»Leb wohl«, sagte Svenja, drehte sich um und ging.
Daniel stand noch so lange vor dem Durchgang zur Sicherheitsschleuse, bis Svenjas leuchtendes Haar im Strom der Reisenden um die nächste Ecke verschwand. Sie drehte sich nicht ein einziges Mal zu ihm um.
Eine Stunde später saß Daniel in meiner Küche und nahm einen Becher heißes Wasser entgegen. Für mich hatte ich einen Kaffee gekocht.
»Sag mal, ist der
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