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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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kannte: Eine dicke Kanüle mit scharfer, angeschrägter Spitze, die vorn an einem langen Schlauch befestigt war. Die Männer stachen jeweils einem Schwein in den Hals und ließen es ausbluten. Alle sechs Sekunden starb auf diese Art ein Tier am Fließband. Ich konnte mir das Mitzählen nicht verkneifen. Eins, zwei, drei, vier, fünf, tot. Eins, zwei, drei … Ein Schwein, das offenbar nicht richtig betäubt war, brachte die Stecher aus dem Rhythmus, aber sie hatten sich schnell wieder gefangen und dem Tier die Nadel in den Hals gerammt. Es ruckelte am Fließband hinter den anderen her und seine Bewegungen wurden schnell kleiner. Mein Magen hob sich, obwohl er nur Müsli enthielt.
    Direkt hinter den Stechern an der Blutwanne stand ein weiterer Mitarbeiter, der den Schweinen den Kopf abtrennte.
    »Toller Job«, flüsterte PS mir von hinten ins Ohr. »Jeden Tag fünfzehntausend Schweine enthaupten.«
    Daubinger hatte die Bemerkung gehört und winkte miteinem breiten Grinsen ab. »Wir arbeiten Schicht. Mehr als fünftausend darf keiner killen.«
    Er lachte über seinen eigenen Witz, der sich mir nicht erschloss. Ich glaubte nicht, dass die Mitarbeiter hier waren, weil sie Spaß daran hatten, Schweinen die Köpfe abzuschneiden – aber wer wusste das schon? Vielleicht war es für sie tatsächlich nicht einfach ein Job sondern eine Gelegenheit, Macht auszuüben. Diesen Gedanken schob ich schnell von mir, denn die Umgebung war bedrückend genug, auch ohne dass ich mir vorstellte, hier von mordlüsternen Psychopathen umgeben zu sein.
    Wir gingen weiter durch die Zerlegung, wo es so kühl war, dass das noch warme Fleisch dampfte, und so laut, dass man sein eigenes Wort kaum verstehen konnte. Die Menschen an den Fließbändern, denen man unter ihren Schürzen und Mützen und Handschuhen nicht ansah, ob sie Mann oder Frau waren, zerlegten die Tiere in Handarbeit. Daubinger hatte offenbar etwas gesehen, das ihm nicht gefiel, denn er ging zu einem Mitarbeiter, kontrollierte das Stück Fleisch, das dieser ausgelöst hatte, und war nicht zufrieden.
    »Die Schnittführung ist das Wichtigste«, erklärte PS mir, während wir Daubinger bei seinem Disput mit dem Zerleger zusahen. »Das Fleisch muss mager sein, das will die Kundschaft. Ist zu viel Fett dran, sinkt der Preis. Bleibt zu viel Fleisch am Knochen, ist das ein Totalverlust. Es geht oft um Millimeter, die über Qualität, Preis und Auftragslage entscheiden.«
    »Wer nimmt denn diese ganzen Massen Fleisch ab?«, fragte ich zurück. Lieber über Vertriebswege nachdenken als darüber, dass das Filet vor wenigen Minuten noch lebte.
    »Supermärkte, Discounter und wir natürlich als Lieferant für die Gastronomie.«
    Wir passierten riesige Container mit Abfällen, Hautfetzen,Knochen und Sehnen. Je weiter wir kamen, desto weniger Abfälle gab es. Am Ende der Halle verschwand das Band durch ein Loch in der Wand in den dahinterliegenden Bereich.
    »Die Verpackung«, erklärte Daubinger, der sich wieder zu uns gesellt hatte. »Uninteressant.«
    Ja, das konnte ich mir vorstellen. Wenn die kleine Besucherin bis hierher durchgehalten hatte, war in der Verpackung auch keine Ohnmacht mehr zu erwarten. Wie langweilig.
    Daubinger führte uns in einen Umkleideraum, in dem wir die Schutzkleidung ablegen konnten, und dann in einen Besprechungsraum, wo er uns Kaffee, Saft und Wasser anbot. Auf dem Tisch standen Plätzchen in einer Schale – keine Frikadellen. Auf meine diesbezügliche Bemerkung reagierten beide Herren mit anerkennendem Nicken. So, so, die Kleine hatte ihren Humor nicht verloren. Eigentlich hatte ich das schon, aber das ging außer mir niemanden etwas an. Wenn ich etwas gelernt hatte von Daniels Großkotzigkeit, dann das.
    Daubinger schenkte reichlich Kaffee aus, der meinem gereizten Magen nicht gerade zuträglich war, beantwortete noch ein paar Fragen und verabschiedete uns bald. Ich war froh, aus dem Gebäude zu kommen, dessen Flurwände mit Fotos von in die Kamera blinzelnden Schweinen dekoriert waren, die genauso freundlich guckten wie die Sau in dem Streichelzoo damals. Diese hier auf den Fotos waren allerdings sauber. Vermutlich verlangten die Hygienevorschriften Bilder von reinen Schweinen.
    Auf dem Rückweg beruhigte sich mein Magen allmählich, und als PS den Wagen auf seinen reservierten Parkplatzlenkte, fühlte ich mich wieder einigermaßen normal. PS zog den Schlüssel ab und hielt mich am Arm zurück, als ich aussteigen wollte.
    »Wollen Sie den Job noch?«
    »Keine

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