Möhrchenprinz - Roman
Vorbereitungen für die Party nahmen Svenja und mich eine ganze Woche in Anspruch, denn wir hatten keine Lust, Fertigfraß minderer Qualität zu kaufen, und kein Geld für Convenienceprodukte aus dem Biomarkt. Also kochten, schnippelten, brutzelten und buken wir wie die Weltmeister,was uns großen Spaß machte. Einige Gäste würden weitere vegetarische oder vegane Salate und Desserts mitbringen. Alles gesund, alles bio und genau das, was mein Bruder Daniel verächtlich als Kaninchenfutter bezeichnete. Das war auch der Grund, weshalb er sich nie bemüht hatte, meine Partys in seinem Terminkalender unterzubringen. Wir lebten einfach in verschiedenen Welten. Trotzdem liebten wir uns heiß und innig, und deshalb war ich optimistisch, dass er dieses Mal kommen würde.
»Leo, Bier ist alle.«
»Leo, gibt’s noch Kartoffelsalat?«
»Leo, wo ist der Aschenbecher?«
Ich seufzte. Die Party war in vollem Gange und wie immer legte jeder, der einen Fuß über unsere Türschwelle setzte, sein ganzes Wohlergehen in meine Hände. Warum nicht in Svenjas? Es war ihre Party ebenso wie meine. Aber die Antwort lag auf der Hand: Svenja war viel zu ätherisch für Kartoffelsalat, Bier oder Aschenbecher. Sie trug ein langes, weißes Kleid aus Leinen und Baumwollspitze, ihre zarten Finger waren mit Ringen geschmückt, bunte Bänder betonten die schmalen Handgelenke. Das blonde Haar fiel ihr lose auf die Schultern und sie war, obwohl unsere Wohnung im Winter zugig war, barfuß.
Svenja konnte durchaus zupacken, aber das sah man ihr nicht an und deshalb würde auch niemand sie darum bitten. Sie war ebenso praktisch und lebenstüchtig wie ich, hatte aber zusätzlich diesen Drang nach spiritueller Erfüllung – oder wie immer man das nennen sollte. Seit etlichen Jahren machte sie Yoga und transzendentale Meditation, malte Mandalas und studierte die Lehren Buddhas. Sie war überzeugte Veganerin, dankte Mutter Erde, dass diese sie trug und nährte, und fing Fliegen und Mücken in der Wohnung mit einem kleinen Kescher, um die Viecher dann draußenfreizulassen. Sie gehörte zu den verrücktesten Menschen, die ich kannte, und ich würde sie vermissen.
Dachte ich.
Das Vibrieren des Handys riss mich aus meinen Gedanken. Daniels Nummer. Aha, der Herr steckte bestimmt mitten in einem Milliardendeal und rief nur an, um mir mitzuteilen, dass er es selbst mit dem nächsten Flug nicht mehr um die halbe Welt schaffen würde.
»Wo steckst du?«, fragte ich ihn statt einer Begrüßung.
»Kopf noch halb in Hongkong, Füße auf einer grauen Granitstufe, Finger auf deinem Klingelknopf, Sweetie.«
Ich grinste. Wenn Daniel mich Sweetie nannte, hatte er gute Laune. Ich drängelte mich durch den Flur voller Gäste und drückte die Tür auf.
Vegetarische Gemüsesuppe, veganer Kartoffelsalat, panierte Tofuschnitzel mit Walnusspaste, Krautsalat, Sauerkrautsuppe, Vollkornbrötchen und Grünkernfrikadellen, Spinattaschen und Nudelauflauf mit Lauch und Rosenkohl. Bier, Linsensalat, Hummus, Muhammara, Mousse au Chocolat und Tiramisù – Schüsseln und Gläser wurden leer und mussten aufgefüllt werden, Aschenbecher wurden voll und mussten geleert werden und dazwischen wünschten mir Freundinnen und Freunde alles Gute. Leute, die ich nicht kannte, fragten, wo das Klo sei, und zwischendurch grinsten Daniel und ich uns gelegentlich zu.
Mein Bruder sah verdammt gut aus. Sein schwarzes Haar, das er von unserem Vater geerbt hat, war etwas länger als bei unserem letzten Treffen und fiel ihm in einer akkurat verstrubbelten Locke in die Stirn. Seine Haut war wie immer dezent gebräunt und seine breiten Schultern verschafften ihm einen bemerkenswerten ästhetischen Vorteil gegenüber den schmalbrüstigen Jüngelchen, die sich in unserer Wohnung drängten. Dabei war Daniel unverdientermaßenvom Glück begünstigt, denn er trieb niemals Sport und tat außer dem regelmäßigen Besuch des Solariums und seines Hairstylisten in New York nichts für sein Aussehen oder seine Gesundheit. Im Gegenteil. Er lebte von Champagner und Kaviar, Kaffee, Steaks und Junkfood, hetzte für haufenweise Geld in der Businessclass durchs Leben und würde eines nicht allzu fernen Tages vermutlich am Herzinfarkt sterben – aber bis dahin war er ein Bild von einem Mann. Kein Mensch mit weniger als zehn Dioptrien Fehlsichtigkeit würde uns für Geschwister halten.
Gegen Mitternacht wurde es leerer. Diejenigen, die nur hatten satt werden wollen, waren vermutlich auf dem Weg ins Kino oder zu einer
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