Möhrchenprinz - Roman
anderen Party mit schlechterem Buffet. Zum ersten Mal sah ich die Gelegenheit, mich mit Daniel zu unterhalten. Ich suchte ihn in der Küche, denn Daniel stand grundsätzlich im Zentrum des Universums und das war in einer WG im Allgemeinen und bei einer Party im Besonderen die Küche – aber dort fand ich ihn nicht. Auch in meinem Zimmer hatte ich kein Glück, im Flur war er ebenso wenig. War er zwischendurch ein ordentliches Steak essen gegangen? Ich unterdrückte ein Grinsen. Zuzutrauen wäre es ihm. Ein großes Stück Fleisch, ein Glas Schampus und wenn er standesgemäß satt wäre, käme er wieder. Aber noch gab ich die Suche nicht auf. Nach einer Runde durch die anderen Zimmer fand ich ihn auf dem Balkon.
Der Balkon unserer Wohnung war ein schmales Betonband von etwa zwei Metern Breite, das sich vor Svenjas Zimmer befand. Die Glastür, die hinausführte, klemmte während mindestens neun Monaten des Jahres so fest im Rahmen, dass der Balkon nicht zugänglich war. Irgendjemand hatte es in den letzten Stunden offenbar geschafft, die Tür zu öffnen. Irgendjemand hatte Daniel aus dem Partytrubel auf den bröckeligen Balkon gelockt. Irgendjemandhatte seit mehr als dreißig Sekunden Daniels ungeteilte Aufmerksamkeit. Irgendjemand hatte also hier mehrere Wunder vollbracht. Und dieser Jemand war Svenja.
»Ach, hier seid ihr!«, rief ich erleichtert.
Svenja drehte sich zu mir um und strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Hi, Leo. Alles klar? Brauchst du Hilfe?«
Daniel blieb stumm und rührte sich nicht. Seine Augen ließen Svenja nicht eine Millisekunde los.
»Nein, danke. Ich suchte Daniel. Da kommt er schon zu meiner Party und dann habe ich nicht einmal die Zeit, ein paar Worte mit ihm zu wechseln.«
Daniel reagierte auf seinen Namen wie ein Hund, dessen Futter mit Valium versetzt worden war, drehte den Kopf, sah mich an, als hätte er eine Wildfremde vor sich und sagte: »Schon okay«.
Ich starrte noch ein paar Mal von Svenja zu Daniel und zurück, aber niemand interessierte sich für mich. Svenja hielt ihr feengleiches Gesicht mit geschlossenen Augen zum Mond, als könne sie sein silbriges Licht in sich aufnehmen und für schlechte Zeiten speichern, und Daniel glotzte Svenja mit einem triefäugigen Blick an, als sei er ein Rindviech und sie ein ganzer Sack Rüben. Ich verkniff mir ein Grinsen und ging zurück zu meiner Party.
Hätte ich geahnt, welche Auswirkungen dieser Augenblick auf mein Leben haben sollte, hätte ich Daniel etwas von Mikes Marihuana untergeschoben und ihn umgehend verhaften lassen. Ohne Gewissensbisse. Aber damals dachte ich ja noch, dass die elfische Anziehungskraft auf meinen Finanzhai-Bruder einen magischen Moment im Mondschein wirken würde und spätestens mit der Morgendämmerung wie Tau in der Sonne für immer verschwände. Dass dies eine krasse Fehleinschätzung war, bemerkte ich leider viel zu spät.
»Dein Bruder liegt in der Diele und schnarcht«, war das Erste, was ich morgens gegen neun Uhr hörte.
»Hmm?«, antwortete ich wenig eloquent.
»Vor Svenjas Tür, um genau zu sein.«
Federico streckte sich, gähnte, fiel über seine Luftmatratze und landete halb auf meinem Bett.
»Du solltest mal aufräumen«, brummte er. »Hier kann man ja nicht treten.«
»Ich kann treten«, nuschelte ich und beförderte ihn mit einem Tritt auf seine Luftmatratze.
»Miststück!«
Innerhalb von Sekunden war Federico wieder eingeschlafen. Nur ich war jetzt hellwach. Was hatte er über Daniel gesagt? Er schlief hier? In meiner Wohnung? Auf dem Fußboden? Vor Svenjas Tür? Schwachsinn!
Daniel besaß mehrere Apartments auf der ganzen Welt, darunter eins in New York mit Blick auf den Central Park. Sein Hauptwohnsitz allerdings befand sich in Düsseldorf. Genau genommen war sein hiesiges Domizil das Penthouse einer kernsanierten Villa in Oberkassel, deren untere Etagen zwei Steuerberatungsbüros und ein gerade sehr angesagter Architekt als Büroräume nutzten. Daniel hingegen leistete sich das Sahnehäubchen ganz privat. Es erstreckte sich über die zwei oberen Etagen, hatte eine umlaufende Terrasse im Bootsdeckstil und war letztes Jahr in einem Lifestylemagazin als besonders gelungene Verbindung von denkmalgeschützten Jugendstilelementen mit minimalistischem Wohntrend aus Edelstahl und Glas vorgestellt worden.
Warum also sollte er in einer dreckigen, nach Rauch stinkenden Studenten-WG pennen? Noch dazu auf dem Boden.
Ich stand auf, hüpfte vorsichtig um Federicos Luftmatratze herum und
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