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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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ungefähr fünf Kilo im Jahr statt sechzig.«
    »Die Welt ist globalisiert, lieber Bruder, willst du den freien Handel etwa auch abschaffen?«
    »Solche Sprüche aus deinem Mund«, sagte Daniel erschüttert.
    Natürlich wusste ich genau, was er meinte. Bis vor Kurzem hatte ich selbst kaum Fleisch gegessen, aber das lag natürlich auch daran, dass Svenja Veganerin war und wirmeist gemeinsam gekocht hatten. Zu Hause aß ich weiterhin viel Gemüse und Salat, aber in der Kantine schmeckten mir die Fleischgerichte besser als das welke Grünzeug der Großküche.
    »Übrigens habe ich noch keine Mietzahlung von dir erhalten. Dein Anteil liegt bei hundertzwanzig Euro einschließlich Nebenkosten.«
    Daniel griff in seine Hosentasche, holte ein altes, abgegriffenes Portemonnaie heraus und drückte mir zwei Fünfzigeuroscheine und einen Zwanziger die Hand.
    »Wo ist deine Brieftasche?«, fragte ich erstaunt. Als Mann von Welt besaß Daniel natürlich eine Brieftasche aus Straußenleder, in der seine Karten steckten und immer ein paar Scheine Bargeld. Große Scheine. Kleinere Scheine hatte er in der Hemdentasche in einem Geldclip aus Platin, Münzen pflegte er in der Hosentasche zu tragen.
    »Ich habe dem sinnlosen Konsum abgeschworen und die Platinum-Karten zurückgegeben. Eine normale Kreditkarte und ein paar kleinere Scheine und Münzen passen in ein einfaches Portemonnaie.«
    »Und dieses alte Ding hattest du noch in der Nachttischschublade liegen?«
    »Das habe ich secondhand gekauft.«
    Jetzt war es an mir, erschüttert den Kopf zu schütteln.

8
    Als ich am nächsten Morgen ins Büro kam, hockte Tin-Tin in meinem Büro auf dem Besucherstuhl.
    »Nanu, hast du keine Schule?«
    Sie blickte mich mit fiebrigen Augen an.
    »Krank?«
    Sie nickte.
    »Was denn?«
    »Mandelentzündung«, krächzte sie.
    »Gehörst du da nicht ins Bett?«
    Sie lächelte leicht und hob die Schultern.
    Ich rief Josef an.
    »Bei Ihnen hat sie sich versteckt? Das hätte ich mir ja denken können.« Ich konnte die Erleichterung in seiner Stimme hören. »Entschuldigen Sie, dass die Kleine Sie belästigt. Die Nachbarin kommt sie gleich abholen …«
    »Sie stört mich nicht. Sagen Sie einfach Bescheid, wenn ich sie herunterbringen soll.«
    Tin-Tin hatte sich derweil wieder der Pinnwand zugewandt, auf der eine Auswahl von etwa fünfzig Fotos hing. Es waren die Bilder für die geplante Werbekampagne, aus denen ich die gewünschten Motive aussuchen musste.
    »Die sind schön«, sagte Tin-Tin und strich sanft mit demFinger über die Fotos, als würde sie die eleganten Antilopen streicheln. »Warum hast du die Bilder hier hängen?«
    »Die sind für eine Werbekampagne.«
    »Für eine Reise?«
    »Nein. Wir verkaufen …« Ich zögerte. Wusste sie eigentlich, dass das hier eine Fleischgroßhandlung war? Dass wir diese wunderschönen Tiere in küchenfertigen Teilen verkauften?
    »Ihr verkauft die Tiere, nicht wahr?« Ihre fiebrigen Augen blickten mich anklagend an.
    Ich nickte.
    Die Augen füllten sich mit Tränen, die Hand, die das Foto mit der Antilope streichelte, stockte.
    »Wenn Opa Fleisch von hier mitbringt, ist das dann von denen?«
    Würde ich Josef jetzt in Schwierigkeiten bringen, wenn ich ehrlich antwortete? »Ich weiß nicht …«, murmelte ich.
    Das Klingeln des Telefons rettete mich, Josefs Nachbarin war da. Ich begleitete Tin-Tin zur Pförtnerloge und wünschte ihr gute Besserung, aber sie sah mich nur mit gerunzelter Stirn vorwurfsvoll an. Na super. Neben meinem Bruder, der zu Hause nach Kräften versuchte, mir ein schlechtes Gewissen einzureden, hatte ich nun auch noch im Büro Tin-Tin gegen mich.
    Neben dem schlechten Gewissen hatte Tin-Tins Besuch in meinem Büro allerdings auch einen praktischen Nutzen gehabt. Von den fünfzig Fotos, die ich an die Wand gepinnt hatte, musste ich eins als Leitmotiv für die Kampagne auswählen. Die Fotos hingen seit drei Tagen dort und ich hatte sie immer wieder aufmerksam betrachtet, wobei meine Augen regelmäßig zu zwei Bildern wanderten, zwischen denen ich mich nicht entscheiden konnte. Tin-Tin hatte zielstrebig eins der beiden angesteuert und versucht, die Antilope aufdem Bild anzufassen. Wenn das kein Zeichen war, dann wusste ich es nicht. Ich nahm das Foto von der Pinnwand und legte es auf den Schreibtisch. Damit war mein Konzept komplett. Jetzt konnte ich mir das Okay von PS holen und dann Anzeigenplätze buchen.
    Nach einer Woche anstrengender Arbeit, einem Wochenende mit unergiebigen

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