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Möhrchenprinz - Roman

Möhrchenprinz - Roman

Titel: Möhrchenprinz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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brüllte ein älterer Herr aufgeregt.
    »Wirf den Jungs den Rettungsring zu!«, »Lass sie doch absaufen, wenn sie unbedingt wollen«, »Um Himmels willen, machen die das freiwillig?«, »Letztes Jahr ist hier ein Kind ertrunken«, »Gut so! Wenn man keine spektakuläre Aktion macht, nimmt einen ja niemand wahr.«
    Die Kommentare zogen an mir vorbei, ohne dass ich ihnen weitere Beachtung schenkte.
    Ich rannte auf der Promenade neben der Gruppe her, die in der Strömung schnell an mir vorbei trieb. Ich rannte Leute um, weil ich versuchte, Daniel nicht aus den Augen zu lassen. Er war nie ein besonders guter Schwimmer gewesen, selbst in Badehose, geheiztem Wasser und mit Bademeister. Hier, im kalten, strömenden Rheinwasser, mit Jeans, T-Shirt und Schuhen waren die Bedingungen ungleich schlechter. Ich machte mir wirklich Sorgen.
    Schrie seinen Namen. Wurde noch nervöser, als ich sah, wie sich sein begeisterter Gesichtsausdruck, den er anfangs noch hatte, langsam in eine Maske aus Anspannung und beginnender Sorge verwandelte. Dann verzerrte sich sein Gesicht im Schmerz und ich brüllte lauter. Daniel hatte immer schon zu Wadenkrämpfen geneigt – kein Wunder bei jemandem, der sich eigentlich nie bewegte.
    Das durchdringende Geräusch einer sich nähernden Sirene machte mir Hoffnung.
    »Hierher!«, brüllte ich und suchte nach dem Rettungswagen. Am Ufer kam eine Ambulanz die Promenade entlang, auf dem Rhein näherte sich das knallrote Löschboot der Feuerwehr.
    Inzwischen hatten sich Trauben von Gaffern gebildet, die mit ihren Smartphones die vorbeitreibenden Demonstranten filmten.
    »Kommen Sie aus dem Wasser!«, schallte eine Stimme aus dem Boot über das Wasser.
    Die Demonstranten waren sich offenbar uneins. Einige strebten in Richtung Ufer, andere wollten weiterschwimmen. Das Banner verlor an Spannung und verschwand halb in den Wellen.
    Das Rettungsboot hatte inzwischen die ersten Schwimmer erreicht und griff nach zwei Männern, von denen sich einer wehrte. Der andere ließ sich freiwillig ins Boot ziehen.
    »Daniel! Holen Sie Daniel aus dem Wasser!«, schrie ich aus Leibeskräften.
    Daniel hangelte sich inzwischen an dem Banner entlang in Richtung des Bootes. Zwei junge Frauen, die sein verzerrtes Gesicht offenbar richtig deuteten, halfen ihm weiter und riefen den Rettern etwas zu. Die ließen ein Netz ins Wasser, mit dem sie Daniel an Bord hievten, und es erneut auswarfen, um den nächsten Schwimmer einzufangen.
    Daniel blieb gekrümmt an Deck liegen und umklammertesein Bein. Aber obwohl er offenbar erhebliche Schmerzen hatte, hob er den Kopf, suchte die Menge der Gaffer am Ufer mit den Augen ab und traf dann meinen Blick. Er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse, die wohl das Resultat eines zufriedenen Grinsens unter dem Einfluss heftiger Schmerzen war, und hob den Daumen der rechten Hand.
    Es war dieses Bild, das am nächsten Tag in der Zeitung mit den großen Buchstaben erschien.

9
    »Wie konntest du das zulassen?«, quakte die Stimme meiner Mutter aus dem Hörer. »Du weißt genau, wie schlecht Daniel schwimmt.«
    »Mama, ich wusste von nichts.«
    »Du hältst immer zu ihm, das war schon immer so. Aber das ist kindisch, Liebes. Irgendwann musst auch du begreifen, dass deine blindwütige Verteidigungsstrategie ihm eines Tages schaden wird.«
    Ich seufzte. Daniel machte Blödsinn und ich bekam eine Standpauke von meiner Mutter. Das war ja mal wieder typisch. Dabei lag mir nichts ferner, als Daniel zu verteidigen. Im Gegenteil! Ich versuchte gerade, ihn richtig reinzureiten. Aber selbst das gelang mir nicht. Entweder hörte meine Mutter mir nicht zu, oder sie nahm mich nicht ernst. Warum sollte ich überhaupt mit ihr darüber diskutieren? Aber im Schweigen war ich auch nicht sehr gut, also startete ich einen neuen Versuch.
    »Daniel ist dickköpfiger als ein Maulesel mit Verstopfung. Er hat mich nicht eingeweiht, Mama.«
    »Aber du hättest ihn sicher zurückhalten können, wenn du es nur gewollt hättest«, sagte sie vorwurfsvoll.
    Mein Bruder war einen ganzen Kopf größer als ich, vermutlich zwanzig Kilo schwerer und er hat, obwohl er so unsportlichist, bei unseren Rangeleien immer gewonnen. Was also stellte meine Mutter sich vor? Dass ich ihn mit einem gezielten Handkantenschlag gegen den Hals ruhig stellte – aber nur ja nicht verletzte?
    »Mama, ich bin die kleine Schwester, schon vergessen?«
    »Ihr seid beide erwachsen, Leonie, also komm jetzt nicht mit der Geschichte von der kleinen

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