Mönchsgesang
»Reiner und Karsil haben sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Ich hoffe, Ihr habt nichts dagegen.«
Mathäus nickte verständnisvoll und sah in die Gesichter der Mönche. Zum ersten Mal hatte er nun die Gelegenheit, sie eindringlich zu studieren. Prior Anselm stellte seine Mitbrüder vor.
Bruder Walraf kannte er bereits. Sein echsenartiger Blick schien dem seinen auszuweichen. Anders dagegen Bruder Engelbert, Subprior und Novizenmeister des Klosters. In seinen Augen lag ein Hauch von Neugier, doch sein energisch verschlossener Mund verriet Selbstdisziplin und Schläue. Mathäus beschloss, sich vor diesem undurchsichtig erscheinenden Mann in Acht zu nehmen.
Bruder Notker besaß eine gedrungene Statur und einen erlauchten Kranz stahlgrauer Haare um seine Tonsur. Er war der Prokurator des Klosters, und Mathäus hätte auch ohne diesen Hinweis des Priors gewusst, dass dieser Mann sich mit Verwaltungsaufgaben beschäftigte. Zu oft war dieser Menschenschlag ihm im Gefolge des Markgrafen schon begegnet. Offensichtlich veranlasste das Fehlen einer Schreibfeder Bruder Notker zu nervösen Fingerspielen.
Bruder Theodor war der Bibliothekar. Mathäus widmete ihm seine ganz besondere Aufmerksamkeit. Das also war der Mönch, der vor Jahresfrist Adams über alles geliebtes Amt übernommen hatte. Theodor war noch sehr jung; sein blasses Gesicht besaß fast verweichlichte Züge, und ebenso wie Walraf wich er dem Blick des Dorfherrn scheu aus.
Nach Bruder Adams Tod war nun Bruder Edmond der Älteste im Konvent. Obwohl sein Körper dem eines Asketen glich, schien er eine robuste Gesundheit zu besitzen; seine Wangen waren von einem frischen Rot überzogen, doch unter buschigen Augenbrauen lag eingebettet in tiefen Höhlen ein Paar melancholischer Augen. Der alte Edmond war vor allem für gärtnerische Aufgaben auf dem Klostergelände zuständig.
Nachdem der Prior seine Mitbrüder vorgestellt hatte, lehnte er sich zurück und spreizte die Hände. Mathäus registrierte sein Bemühen, gleichmütig zu erscheinen, doch dies gelang dem Prior mehr schlecht als recht. Unter seinem Auge begann eine Muskelfaser nervös zu zucken.
Mathäus fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Jetzt war es an ihm, zu sprechen, und er spürte, dass ihm Wellen von Misstrauen und Zorn, aber auch von Furcht entgegenschlugen. Tief durchatmend begann er deshalb, sein Bedauern auszudrücken, dass er die Klosterbrüder von ihren Pflichten abhalten müsse. Aber gewisse Tatsachen, kam er sogleich zur Sache, ließen darauf schließen, dass Bruder Adam eines gewaltsamen Todes gestorben sei.
Seine Behauptung sorgte für keine nennenswerte Überraschung in den Gesichtern seiner Zuhörer. Wahrscheinlich hatte Anselm seine Mitbrüder längst von Mathäus' Überzeugung informiert.
Der Dorfherr trauerte dem entgangenen Überraschungsmoment, der möglicherweise für gewisse Aufschlüsse gesorgt hätte, nicht lange hinterher. Er schilderte die Umstände, die zu seiner Überzeugung geführt hatten, wobei der Kissenrest im Mund des Toten natürlich eine besondere Rolle spielte. Zu seiner Verwunderung versuchte keiner der Mönche, ihm zu widersprechen oder seine Behauptungen in Zweifel zu ziehen. Fast schien es ihm so, als hätten sich alle damit abgefunden, dass Adam ermordet worden war.
Als er seine Ausführungen beendet hatte, senkten die Mönche betreten die Köpfe. Nur Engelbert, der Subprior und Novizenmeister, hielt dem Blick des Dorfherrn stand.
»Was war Bruder Adam für ein Mensch?«
Mathäus' Frage rüttelte die Mönche aus ihrer Lethargie. »Bruder Adam war ein hochgläubiger Mensch, rein in seiner Seele und weise in seinem Handeln«, behauptete Walraf, als hätte er darauf gewartet, diesen Spruch aufzusagen.
Engelbert schüttelte etwas unwirsch den Kopf. »Ich weiß nicht, ob solche Antworten dem Dorfherrn weiterhelfen, lieber Mitbruder«, sagte er nachdrücklich, »so wie wir alle, hatte auch Bruder Adam seine großen und kleinen Schwächen.«
»Nam vitiis nemo sine nascitur; optimus ille est, qui minimus urgetur«, seufzte der Prior.
Auf Mathäus' Stirn formten sich Runzeln. »Wie?«
»Ich sagte: Denn kein Mensch wird ohne Fehler geboren; der beste ist der, welcher von den geringsten bedrückt wird!«
»Ach so. Sicher, aber um jetzt konkret auf Euren Mitbruder zu sprechen zu kommen: Was war er für ein Mensch?«
Niemand schien sich für eine Antwort verantwortlich zu fühlen.
»War er nicht manchmal dickköpfig, eigensinnig?«, half
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