Mönchsgesang
sagt, Bruder Adam habe in den letzten Tagen anders geschaut als sonst?«
»Ja, milder. Sanfter. Um nicht zu sagen: verzeihender! Nicht mit dieser gottverfluchten Strenge. Aber warum zum Teufel wollt Ihr das alles wissen? Will man den Burschen etwa heilig sprechen?«
»Hatte er Feinde?«, fragte Mathäus unbeirrt.
Norbert von Kerpen zog seine buschigen roten Augenbrauen hoch. »Beim Schwanz Beelzebubs! Glaubt Ihr vielleicht, dass ihn jemand um die Ecke gebracht hat?«
Mathäus spreizte die Hände. »Hatte er Feinde?«, fragte er noch mal.
»Was heißt hier Feinde? Ich glaube nicht, dass er bei seinen Mitbrüdern sonderlich beliebt war.«
»Wegen seiner Strenge?«
»Nicht nur. Adam war ein Korinthenkacker. An allem und jedem hatte er etwas auszusetzen, auch wenn er das seltener mit Worten als vielmehr durch Körpergesten ausdrückte. Ich glaube, der alte Hund hat seinen Mitbrüdern so manchen Nerv gekostet. Aber wie gesagt, in den letzten Tagen …«, er unterdrückte ein neuerliches Rülpsen, »war das irgendwie anders.«
»Hmm!« Mathäus erhob sich und warf einen Blick aus dem Fenster. Die Regenwolken begannen sich neu zu bilden.
»Gestattet mir eine Frage, Herr Norbert. Und nehmt sie mir nicht übel.«
»Fragt schon. Ich bin es gewöhnt, dass man mir Fragen stellt, von denen man glaubt, sie würden mir nicht behagen.«
Mathäus sah ihm direkt ins Gesicht. »Wo wart Ihr vergangene Nacht?«
Der Ritter wurde von einem heftigen Lachanfall geschüttelt. »Ist hier ein alter Mönch gestorben, oder hat man einen Goldschmied abgemurkst und ausgeraubt? Ich war in meiner Kammer.«
»Und ich nehme an, es gibt jemanden, der dies bestätigen kann?« Er richtete den Daumen vielsagend zur Decke.
Norbert grinste schief. »Darauf könnt Ihr wetten.«
»Noch eine Frage.«
»Sicher. Ich amüsiere mich prächtig.«
»Was wisst Ihr über den Brand der Scheune?«
»Das, was alle wissen. Der Stallbursche ist wohl eingeschlafen.«
»Kanntet Ihr ihn?«
»Odo? Sicher. Er kümmerte sich um mein Pferd.«
»Was hieltet Ihr von ihm?«
»Kein übler Bursche. Obwohl …« Er kratzte seinen Bart und stülpte die Unterlippe nach vorne. »Manchmal hatte ich den Eindruck, dass er irgendwie anders war.«
»Wie?«
»Herrgott, er freute sich über den Anblick seinesgleichen mehr als über den einer holden Maid.«
»Ach so.« Mathäus stützte nachdenklich sein Kinn.
»Habt Ihr noch mehr Fragen, Mathäus?«
Der Dorfherr schüttelte den Kopf. »Ich danke Euch, dass Ihr mir Rede und Antwort gestanden habt.«
»Gut.« Der Ritter erhob sich polternd und schritt zur Tür. »Dann kann ich mich jetzt ja wieder anderen Dingen widmen.« Er verharrte im Schritt und drehte sich um. »Ich weiß zwar nicht, warum Ihr einen solchen Wind um das Ableben eines alten Mönches macht«, sagte er, »aber ich kann mir nur schwerlich vorstellen, dass einer seiner Mitbrüder ihn auf dem Gewissen hat.« Wieder zupfte er nachdenklich an seinem Bart. »Andererseits habe ich auch schon mal ein Pferd vor einem Kräuterladen kotzen sehen.« Mit diesen Worten verließ er den Raum.
Mathäus verschränkte seufzend seine Arme und wandte sich wieder dem Fenster zu. Der Regen hatte wie erwartet eingesetzt. Die Glocke der Klosterkirche läutete zur Vesper.
Er versank erneut in einem Meer von Gedanken. Vor allem seine Mutter kam ihm nun in den Sinn. Wehmütige Erinnerungen kochten hoch. Und dann sein Vater! Ob Richmond Dreyling inzwischen verärgert das Weite gesucht hatte, weil er immer noch nicht nach Hause zurückgekehrt war? Und schließlich Jutta! Jesus, ob Jutta und Maria ihn heute aufgesucht, dann aber lediglich seinen Vater angetroffen hatten? »Hoffentlich nicht«, flehte er leise.
Eine endlose Weile stand er am Fenster, sinnierte und merkte nicht, wie die Zeit verging. Erst ein lautes Pochen an seiner Tür holte ihn ins Diesseits zurück.
Reiner, der Novize, steckte seinen Kopf herein. »Herr, der Prior schickt mich. Ihr möchtet in den Kapitelsaal kommen. Alle Mitbrüder seien dort nunmehr versammelt.«
Mathäus nickte ernst. »Gut. Ich komme«, sagte er.
8
S echs Augenpaare starrten Mathäus an, als dieser, begleitet von Reiner, den Kapitelsaal betrat. Die Mönche saßen auf ihren steinernen Sitzen, die die Wände des Saales säumten. Anselm bat den Dorfherrn, sich neben ihn zu setzen, und entließ den Novizen mit einem stummen Kopfnicken.
»Ich möchte unseren Novizen diese Befragung nur ungern zumuten«, erklärte er etwas unterkühlt,
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