Mönchsgesang
verlagert Adams Denken vom Diesseits ins Jenseits. Er ist einer vom alten Schlag und er glaubt an die Botschaft der weißen Lilie. Was scheren ihn nun die Sünden anderer? Eines Abends sucht Ihr ihn im Dunkel seiner Zelle auf und erwürgt ihn mit seinem Kopfkissen. Der alte Adam wehrt sich nicht, er glaubt, Ihr seid der Tod, der ihn heimsucht, um die Botschaft der Lilie zu erfüllen. Doch Ihr habt vergessen, nach Eurer Tat in den Mund des Toten zu schauen, wo sich ein winziger Rest des Kissens befindet. Dieses Relikt lässt den herbeigerufenen Dorfherrn von Merode zu der Überzeugung gelangen, dass hier ein Mord geschehen ist.«
»Alles mag so geschehen sein, wie Ihr es sagt«, warf Karsil ein, »aber ich sehe immer noch keine Spur, die zu mir führt – abgesehen von jenem billigen Trick, ein Schloss zu öffnen, den jeder kleine Gauner beherrscht.«
Heinrich hob beide Hände. »Geduld, Geduld«, sprach er. »Alles zu seiner Zeit.« Mit einem stummen Blick gab er seinem Freund zu verstehen, wachsam zu bleiben. Er konnte sich nur schwerlich vorstellen, dass Karsil es unversucht lassen würde, sich dieser misslichen Lage gewaltsam zu entziehen.
Mathäus nickte unmerklich: Er hatte die Botschaft verstanden.
»Odo ist nicht der Einzige, dem Ihr zugetan wart«, fuhr Heinrich fort. »Auch Bruder Theodor hat Eure Gunst – und umgekehrt. Theodor aber scheint die Zusammenhänge zu ahnen. Er spricht Euch darauf an. Wieder bestreitet Ihr alles. Und es ist sonnenklar, dass auch Bruder Theodor sterben muss. Natürlich wisst Ihr, dass der junge Mönch sich nicht widerstandslos in seinem Bett töten lassen wird, selbst wenn Ihr ihm vorher zehn weiße Lilien zukommen ließet. Also streut Ihr ihm in einem unbeobachteten Moment Gift – nämlich Bilsenkraut! – ins Essen. Um eine Pilzvergiftung vorzutäuschen, würzt Ihr auch das Essen Eurer Mitbrüder Notker und Walraf mit diesem Teufelszeug, allerdings in geringeren Mengen. Und um über jeden Verdacht erhaben zu sein, vergiftet Ihr Euch sogar selbst. Damit nicht genug, auch den beharrlichen Dorfherrn versucht Ihr auf diese Weise endlich loszuwerden.«
»Ich erinnere mich noch genau an Euer erstauntes Gesicht, als Ihr im Krankensaal wach wurdet und mich frisch und lebendig vor Euch sitzen saht«, bemerkte Mathäus mit verhohlenem Zorn.
»Zu diesem Zeitpunkt hat das große Inferno bereits stattgefunden, für das Ihr ebenfalls verantwortlich seid. Die Baracke der Laienbrüder ist bis auf die Grundmauern niedergebrannt, wie durch ein Wunder kommt dabei lediglich einer von ihnen um sein Leben. Und warum das Ganze? Ihr wolltet Informanten beseitigen, die einen Ermittler – wer immer das nach Mathäus' Tod auch gewesen wäre – auf heiße Spuren hätten führen können. Die Laienbrüder wussten schließlich über einiges Bescheid.«
»Lange Zeit war ich in dem festen Glauben, der Täter sei bei der Befragung im Kapitelsaal anwesend gewesen«, sagte Mathäus. »Auf einen Novizen, die Prior Anselm bewusst von der Sitzung ausgeschlossen hatte, wäre ich nicht im Traum gekommen. Mein Freund Heinrich forderte mich heute Abend eindringlich auf, mir alle Details jener Befragung in Erinnerung zu rufen. Dabei machte ich nachträglich eine interessante Feststellung: Der Prior hatte Euch beauftragt, ihm mitzuteilen, wenn die Stundenkerze die nächste Kerbe erreicht hätte. Als ich von meiner Absicht berichtete, die Laienbrüder am nächsten Tag befragen zu wollen, wart Ihr durchaus anwesend. Anschließend befahl Euch der Prior, mich ins Gästehaus zu geleiten.«
»Sonst noch was?«, fragte Karsil mit gedehnter Stimme.
»Ja, so einiges«, gab Heinrich seufzend zurück.
»Ich bin ganz Ohr.«
»Da wäre zum Beispiel die weiße Lilie. Ihr habt sie von einem Besuch bei den Prämonstratensern in Wenau mitgebracht. Dort habt Ihr im vergangenen Sommer für Bruder Theodor ein Buch abgeholt. Die Kommentierung der Weisheiten Salomos, Ihr erinnert Euch?«
Der Novize schwieg.
»Ihr hättet sie selbst studieren sollen, die Weisheiten, vielleicht hätte Euch dies von Eurem mörderischen Tun abgehalten. Übrigens gedeihen Lilien nur im Sommer.«
»Was Ihr nicht sagt. Aber warum sollte ich ausgerechnet in Wenau in Besitz der weißen Lilie gelangt sein?«
»Weil die Prämonstratenser, im Gegensatz zu den Kreuzherren auf Schwarzenbroich, einen prächtigen Blumengarten hegen und pflegen, für den sie allerorten bekannt sind. In dieser Gegend indessen wachsen derartige Lilien nicht.«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher