Mönchsgesang
oftmals an den Tag legen müssen, da es eben zu ihrem Handwerk gehört.«
Karsil verzog gequält seine Mundwinkel. Er war auf frischer Tat ertappt worden, was nutzte ihm jetzt ein Leugnen? »Ihr habt Recht, töten ist mein Handwerk«, erklärte er dünkelhaft. »Ich töte, wenn man mich dafür bezahlt oder wenn es mir zweckmäßig erscheint. Ich gehöre zu den Besten meines Berufsstandes. Und gerne verrate ich Euch, wer mein namhaftestes Opfer war.«
Heinrich und Mathäus zuckten die Achseln.
»Nun, es war kein Geringerer als der gute Kaiser Ludwig, den man den Baiern nannte.«
»Das glaubt Ihr ja selbst nicht«, entgegnete Mathäus.
»Es heißt, dass Kaiser Ludwig bei der Bärenjagd der Schlag traf«, fügte Heinrich zweifelnd hinzu.
Karsil schüttelte den Kopf. »So sollte es auch aussehen. In Wirklichkeit hatte ich ihm am Abend zuvor ein Pulver in den Wein gerührt, denn ich war sein Mundschenk.« Er weidete sich am Entsetzen der beiden Männer. »Nach seinem Tod kamen natürlich Gerüchte auf, und ich musste fliehen. Noch heute hat der alte Baier viele Freunde im Reich, deshalb sah ich mich gezwungen, für einige Zeit unterzutauchen. Und wo könnte man das besser als in einem Kloster am Arsch der Welt, wo niemand nach einem Kaisermörder unter den Novizen sucht?«
»Wer war Euer Auftraggeber?«, wollte Heinrich wissen.
»Glaubt Ihr allen Ernstes, ich würde Euch dies verraten?« Er grinste hämisch. »Habt Ihr schon einmal etwas von einem Ehrenkodex gehört?«
»Warum erzählt Ihr uns dann überhaupt diese Geschichte?«
»Weil der Tod mir ohnehin gewiss ist. Und ich könnte es nicht ertragen, als Anonymus zur Hölle zu fahren. Ihr tragt eine große Verantwortung gegenüber der Historie.« Er lachte schallend.
Mathäus lief es kalt über den Rücken. »Ein Verrückter«, raunte er Heinrich zu.
Karsil hob die Augenbrauen. »Mag sein, dass ich verrückt bin. Vor allem, weil ich Euch maßlos unterschätzt habe. Aber vielleicht klärt Ihr mich ja über meine Fehler auf, die letztlich zu meiner Entlarvung führten.«
»Der größte Fehler«, sagte Heinrich ernst, »war der, dass Ihr uns heute Nacht umbringen wolltet.«
»Niemals hätten wir Euch die ganzen Verbrechen, die Ihr in den vergangenen Tagen verübt habt, nachweisen können«, fügte Mathäus hinzu.
Wieder erschien jenes schmale Lächeln auf das Antlitz des Novizen. »Und dennoch werde ich das Gefühl nicht los, dass Ihr mit keinem anderen als mir gerechnet habt.«
»Ich will Euch eine Geschichte erzählen, Karsil!« Heinrich setzte sich auf eine der Treppenstufen und faltete die Hände. »Es ist ein offenes Geheimnis, dass Mönche, die abgeschieden von den Freuden der Welt leben, oft zärtliche Gefühle füreinander empfinden. Doch nicht nur unter Mönchen ist diese Form der Zuneigung verbreitet, sondern auch bei anderen Männern, meinetwegen bei Stallburschen – oder falschen Novizen. So kommt es, dass Odo, der Stallbursche, und Karsil, der werdende Mönch, ein inniges, geheimes Verhältnis pflegen. Es ist Odo, der schon bald Reue empfindet, schließlich weiß er, dass man Männern, die auf diese Weise lieben, das ewige Höllenfeuer prophezeit. Er möchte deshalb das Verhältnis mit dem Novizen beenden. Also kommt es eines Abends zu einer Aussprache im Heuschuppen. Doch diese Aussprache artet aus zu einem Streit. Vielleicht hat Odo damit gedroht, ihr Verhältnis öffentlich bekannt zu machen, jedenfalls gibt es Handgreiflichkeiten, in deren Folge Odo stürzt und ein Öllicht umwirft. Möglich, dass er bei diesem Sturz mit dem Kopf gegen einen Balken stößt und deshalb ohnmächtig wird. Möglich aber auch, dass Ihr, Karsil, ein wenig dabei nachgeholfen habt. Odo kommt in den Flammen um, und er war keineswegs betrunken, wie später gemutmaßt wurde.«
»Weiter«, drängte Karsil. »Nur weiter.«
»Später spricht Euch der alte Adam auf dieses Unglück an. Entsetzt stellt Ihr fest, dass der Sakristan Zeuge dieses Vorfalls gewesen sein muss. Natürlich streitet Ihr alles ab, doch Euer Entschluss, den Alten umzubringen, steht felsenfest. Deshalb inszeniert Ihr das Schauspiel mit der weißen Lilie, die Ihr Adam heimlich auf seinen Platz in der Kirche legt, wohl ahnend, dass er dort sein Gewissen durch das Zwiegespräch mit Gott zu erforschen gedenkt. Zwar besitzt Ihr keinen Schlüssel für das Gotteshaus, doch dass es Euch nicht schwer fällt, geschlossene Pforten zu öffnen, habt Ihr eben noch einmal eindrucksvoll bewiesen.
Die weiße Lilie
Weitere Kostenlose Bücher