Moerder Im Gespensterwald
lange?«
»Über acht Stunden. Wir mussten ja Pausen machen. Für die Kinder.«
»Gab es während dieser Pausen irgendein Vorkommnis?«
»Was ist das? Vorkommnis?«
»Ein deutsches Bürokratenwort.« Barbara versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln. »Einen Vorfall? Eine Verbalattacke … ich weiß nicht?« Elina Gundlach sah aus, als hätte sie auch Verbalattacke nicht verstanden. »Wurden Sie angegriffen, beleidigt …?«
»Nein, alles war gut. Wir haben die Fähre … geschafft? Ja, geschafft, die Tom Sawyer von TT-Line. Hatten wir reserviert. Um 21 Uhr waren wir in Rostock. Fuhren zum Campingplatz, hatten wir auch reserviert.«
»Gut.« Barbara schrieb sich die Angaben auf. »Das war Dienstag. Bleibt der Mittwoch.«
»Da haben wir nicht viel gemacht. Die Kinder haben lange geschlafen. Dann waren wir am Strand. Baden im Meer und in Sonne. Der Sonne. Abends Warnemünde. Wir haben in einem Restaurant gegessen. Im … Fischer ? Nej …«
»Fischerklause?«
Elina nickte eifrig. »Ja, Fischerklause .«
»Und Sie wurden nicht irgendwie angepöbelt? Vielleicht in ausländerfeindlicher Weise?«
Die junge Frau schaute Barbara verständnislos an.
»Aber wir sind doch blond«, sagte sie.
Ole Pagels war von seiner Darstellung des Tattages nicht um ein My abgewichen, was entweder für einen besonders abgefeimten Täter sprach – oder er sagte schlicht die Wahrheit. Uplegger war unsicher, aber im Grunde zeugte die Übereinstimmung eher gegen Pagels. Er war verkatert an seinem Arbeitsplatz erschienen, hatte angeblich sogar Nachschub an Bier gebraucht und sich auch noch übergeben; in einem solchen Zustand konnte sich doch niemand so exakt erinnern.
Oder vielleicht doch? Uplegger war in seinem bisherigen Leben nur selten betrunken gewesen und hatte den Folgetag zumeist im Bett verbracht, aber zwei, drei Mal war das nicht möglich gewesen. Sein Körper hatte sich angefühlt wie aus Glas, aber er war auch besonders empfindlich gewesen gegenüber allem, was seine Sinne reizte: Geräusche, Gerüche, überhaupt alle möglichen Eindrücke. Man konnte von einem Zustand gesteigerter Sensibilität sprechen, allerdings war fraglich, ob ein Trinkgewohnter dieses Stadium noch erreichte. Wie auch immer, da es bislang keine widersprechenden Indizien gab, musste er dem Kameraden zwar nicht glauben, aber seine persönliche Ansicht tat nichts zur Sache: Was er nicht beweisen konnte, hatte im juristischen Sinne nicht stattgefunden.
Uplegger blätterte in der Akte.
»Herr Pagels, Sie sind für uns ja kein unbeschriebenes Blatt. Zwei Geldstrafen wegen Beleidigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und einmal Jugendarrest wegen Körperverletzung stehen zu Buche. Außerdem wird gegen Sie wegen der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen ermittelt. Ich habe mir einmal die Webseite des Mecklenburger Heimatschutzes angesehen. Offenbar haben Sie nicht nur etwas gegen die sogenannten Kinderschänder, sondern Sie und Ihre Mitstreiter wollen auch Aus… Menschen mit Migrationshintergrund wollen Sie auf fliegenden Teppichen nach Hause schicken? Weil sie uns die Arbeitsplätze wegnehmen?«
Pagels verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich habe überhaupt nichts gegen Ausländer!«
»Nein? Aber die Verlautbarungen …«
»Wir wollen nur, dass sie dort bleiben, wo sie hingehören, nämlich zu Hause. Gegen Türken in der Türkei habe ich nichts. Warum denn? Das ist ihre Heimat, die wollen wir ihnen nicht wegnehmen.«
»Sie fürchten die Überfremdung Deutschlands?«
»Fürchten tun wir gar nix! Aber mit Überfremdung haben Sie schon Recht …«
»Die Ausländerquote in MV beträgt nicht einmal zwei Prozent! Und dann sind das vor allem Russen, Polen, Vietnamesen … Ich nehme an, die Leute, die Sie auf fliegenden Teppichen deportieren wollen, sind Muslime. Die gibt es, statistisch betrachtet, hier gar nicht.«
»Aber sie kommen immer näher. Wehret den Anfängen!«
Uplegger wusste, dass dies absurder Unsinn war: Menschen muslimischen Glaubens vermieden es, sich in Meck-Pomm anzusiedeln, weil sie das Land für eine Art Nazireich hielten. Es war aber ein alter Hut, dass sich die Ausländerfeindlichkeit umgekehrt proportional zum Ausländeranteil verhielt und dort am größten war, wo es gar keine Migranten gab; keine Fremden nahmen die meisten Arbeitsplätze weg.
»Schauen Sie sich doch mal die Schulklassen an«, fuhr Pagels fort. »Die ausländischen Schüler verhindern, dass unsere deutschen Kinder richtig lernen
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