Moerder Im Gespensterwald
…«
»Dicht? Vollgedröhnt?«
»So kann man es wohl ausdrücken. Marvin wurde jedenfalls nach einer Weile ziemlich schlecht. Na, den Eltern seines Kumpels – er heißt übrigens Tim … denen habe ich was erzählt!«
Barbara runzelte die Stirn. »Doch nicht am Telefon?«
»Nein, ich habe sie herbestellt. Zu einer Aussprache.«
»Wieso denn das? Jetzt haben Sie ihn in die Pfanne gehauen! Himmelherrgott, Sie hätten den Jungen doch klammheimlich nach Hause bringen können … Eltern merken doch normalerweise nie, was mit ihren Kindern los ist, also hätten Sie sich etwas ausdenken können … eine leichte Lebensmittelvergiftung vielleicht. Sie hätten dem Jungen damit einen großen Gefallen getan. Anstatt ihn zu …« Sie biss sich auf die Lippen.
»Was?«, brauste Uplegger auf. Seine Augen waren gerötet, aber nicht vom Tresterschnaps, den er ebenfalls noch nicht angerührt hatte. »Anstatt ihn zu denunzieren?« Er schnappte. »Ich konnte doch Marvin nicht allein lassen.«
»Wenn er schläft? Jonas, in manchen Dingen sind Sie ein richtiger Spießer. Und Sie haben kein Recht, sich in die Freundschaften Ihres Sohnes einzumischen. Freunde sucht man sich selber aus.«
»Das sagen Sie? Sie haben doch keine.«
»Und Sie, Uplegger? Haben Sie welche? Ich meine Freunde, mit denen Sie durch dick und dünn gehen können?«
»Früher …«
»Ja, früher! Freundschaften muss man hüten! Und Sie machen einfach die ihres Sohnes kaputt! Mann, Mann, Mann!« Barbara musste nun doch etwas trinken, egal was, und leerte ihr Glas in einem Zug.
»Wenn wir entspannter sind, müssen wir mal über meinen Dienst sprechen«, sagte Uplegger etwas gefasster. »So wie bisher geht es nicht weiter.«
»Ehrlich gesagt, wird das auch Zeit.«
»Ja. Ich muss Marvin mehr kontrollieren …«
»Kollege Uplegger! Habe ich richtig gehört? Wie wäre es denn mit Zuwendung? Oder Zu-hören? Jedenfalls etwas mit zu. Und nicht ab wie … keine Ahnung. Doch.« Barbara hob den Zeigefinger, ertappte sich bei dieser Geste und krümmte ihn schnell. »Ablehnen. Abstrafen … Ihnen fällt nur Kontrolle ein. Ihr Sohn wird so dankbar sein, dass er mit 18 das Haus verlässt. Den Kerker!«
Uplegger schwieg. Er drehte das Glas in der Hand und trank es nun auch aus.
Barbara schlug schließlich einen versöhnlichen Ton an: »Ich weiß ja, dass Leute, die keine Kinder haben, hervorragende Erziehungsberater sind. Sie wissen immer alles besser. Graue Theorie, klar. Aber eines will ich noch loswerden: Es genügt, wenn Sie ständig sich selber kontrollieren. Das können Sie nämlich perfekt. Bei Marvin könnten Sie die Leine vielleicht etwas lockerer lassen.«
»Hm«, machte Uplegger. »Hm.« Er stand auf, schenkte nach und prostete Barbara sogar zu.
Die blieb bis Mitternacht. Uplegger war gezwungen, auch noch die teure Williams Christ Birne zu opfern, aber er tat es gern: Zu seiner eigenen Überraschung war er froh, nicht allein zu sein mit seinem Kummer.
In der letzten halben Stunde, bevor Barbara in die Nacht schwankte, lasen sie sich gegenseitig aus Erziehungsratgebern vor, von denen er eine Unmenge in seinen Bücherregalen fand. Das Lesen wurde immer schwieriger, nicht so sehr, weil sie lallten, sondern weil sie kicherten und lachten – als wären sie bekifft.
VI Kinderspiel
Jonas Uplegger fühlte sich elend. Mit flatternden Händen beseitigte er Spuren: Er trug die leeren Flaschen in die Küche und stellte die Gläser in die Spülmaschine. Trotz oder vielleicht auch wegen der genossenen Schnäpse und Liköre war er ständig aus dem Schlaf geschreckt, gepeinigt von Albträumen, an die er sich nicht mehr erinnerte. Er suchte nach Kaffee, fand tatsächlich eine angebrochene Packung, deren Inhalt aber mittlerweile vollkommen geruchlos war, also brühte er sich einen grünen Tee auf. Er übergoss die Blätter mit kochendem Wasser und bemerkte seinen Fehler im selben Moment, zuckte aber bloß mit den Schultern.
Jemand schlurfte über den Flur. Die Badtür wurde geöffnet und geschlossen, dann war zu hören, wie Marvin sein Wasser abschlug, im Stehen und damit das von seinem Vater angebrachte Schild missachtend. Der riss ein Blatt vom Kalender und betrachtete den Spruch eines gewissen Henry de Montherlant: »Der Mensch ist immer gefährlich. Wenn nicht durch seine Bosheit, dann durch seine Dummheit. Wenn nicht durch seine Dummheit, dann durch seinen Verstand.«
Uplegger zuckte abermals mit den Schultern und zerknüllte das kleine Blatt. Es war Samstag,
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