Moerder Im Gespensterwald
des anderen nahm. Auch ihr waren die Nachbarn herzlich gleichgültig.
Barbara ließ das Wasser aus der Wanne, richtete sich auf und drückte den Rücken durch: Wo war sie nur wieder gewesen? In der Krummen Ecke natürlich, aber dann? Bei Uplegger? Ihr war so, als wäre sie bei ihm gewesen, nur warum?
Natürlich, dessen Sohn hatte gekifft, aber das ging sie doch gar nichts an. Wieso war sie überhaupt hingegangen und hatte sich eingemischt? Hatte sie nicht allein sein wollen, weder daheim noch in der Dienststelle, in der sie nach der Krummen Ecke noch gewesen war – war sie doch? Sie war nicht sicher …
Nur wenn sie sich einsam fühlte, drängte sie sich anderen Leuten auf – und wenn sie viel Alkohol im Blut hatte.
Bruno miaute und funkelte sie wütend an. Er musste Hunger haben, und sie stank nach Suff, was er nicht leiden konnte. So schnell wie möglich ging sie in die Küche und riss eine Futterdose auf. Das wirkte immer, Bruno war sofort bei ihr. Als sie sich zum Napf beugte, wurde ihr schwarz vor den Augen.
Erinnerungsfetzen kamen: Nach der Sause mit Uplegger hatte sie noch immer nicht genug gehabt. Sie hatte sich bereits auf dem Heimweg befunden, in der Ecke konnte sie nicht noch einmal gewesen sein. Vielleicht hatte sie jede Kneipe am Weg mitgenommen und sich so ihrem menschenleeren Zuhause sukzessive genähert, wie sie es hin und wieder machte: Da ein Bier und dort noch eins und einen Wodka dazu oder auch zwei. Schrecklich war das. Wenn es über sie kam, konnte sie einfach nicht aufhören …
Es! Welches Es? Was kam da über sie und flüsterte ihr ins Ohr? Der Teufel? Wohl kaum.
Hauptsache, sie hatte nicht auf der Treppe gelegen!
Bruno schmatzte. Sie nahm das Insulin aus dem Kühlschrank und ein zweites Bier. Im Stadthafen dudelten bereits die Karusellmusiken, aber sie wagte nicht, auf die Küchenuhr zu schauen. Schwül war es auch schon wieder.
Barbara ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen und schaute Bruno beim Fressen zu. So konnte es nicht weitergehen.
Das hatte sie an einem Morgen wie diesem schon oft gedacht. Und dann war es weitergegangen wie immer. Hatte sie es weitergehen lassen. Jetzt aber war sie Klientin bei der Diplompsychose . Nicht freiwillig, doch immerhin. Sollte sie …? Nein! Keine Couch, kein Ringelpietz mit Anfassen in irgendeiner Therapiegruppe. Alles, nur das nicht!
Bruno miaute. Er wollte mehr. Keine Chance, außer der Spritze würde er nichts bekommen.
Mühsam erhob sie sich, nahm eine U-40 Insulin mit Nadel aus einem kleinen Flechtkorb und riss die Verpackung auf. Als sie die Spritze aufzog, erschien ein Bild vor ihrem inneren Auge, eine Erinnerung an den Abend in Upleggers Wohnzimmer. Sofort stieg Hitze in ihr auf, sie spürte, wie ihr Gesicht errötete, und sie ließ die Hand mit der Spritze sinken: Sie hatte mit Uplegger Brüderschaft getrunken. Ohne Umarmung, ohne Kuss – aber nun duzten sie sich.
Das durfte nicht wahr sein! Im schlimmsten Fall war die Initiative sogar von ihr ausgegangen, alkoholselig und sentimental, wie sie gewesen war. Gott, wie sollte sie ihm nur unter die Augen treten? Hoffentlich hatte er es vergessen.
Jonas, du …
Niemals!
***
Wieder einmal lenkte Uplegger seinen Wagen durch die Strandstraße von Nienhagen. Jürgen Lutze hatte sich bei ihm gemeldet, vor etwa einer Stunde und mit einer Nachricht, die Uplegger das gemeinsame Frühstück mit Marvin in die Bäckerei hatte verlegen lassen; darauf verzichten wollte er nicht. Gemeinsam hatten sie ein paar belegte Brötchen verdrückt, Uplegger ein halbes, Marvin zwei ganze, dann hatte der Vater sich auf den Weg gemacht. Schon wieder musste er seinen Sohn sich selbst überlassen.
Barbara war nicht zu erreichen gewesen, weder daheim noch in der Dienststelle. Vermutlich lag sie flach. Er hatte ihr auf den Anrufbeantworter gesprochen, ob auch sie nach Nienhagen kommen wolle. Er rechnete damit, denn Lutze und ein paar Kollegen hatten die Jungen ausfindig gemacht, die an der Waldhütte bauten.
Der Lorbass stand vor der Kurverwaltung und sah einem Uniformierten beim Rauchen zu. Uplegger fuhr auf den Parkplatz. Als er ausstieg, kam Lutze auf ihn zu.
»Wie viele sind es?«, wollte Uplegger wissen.
»Vier Jungs. Insgesamt ist die informelle Kindergruppe natürlich größer, ohne dass ich eine exakte Zahl nennen könnte. Mal ist der eine dabei, mal der andere. Es gibt keine feste Struktur. Vier haben wir erst einmal einbestellt.«
Informelle Kindergruppe, keine feste Struktur – was für eine
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