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Moerder Im Gespensterwald

Moerder Im Gespensterwald

Titel: Moerder Im Gespensterwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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auch noch ein Tag. Wie hatte einmal ein längst pensionierter Kollege zu ihr gesagt? Wenn ich alles heute erledigen will, erlebe ich unter Umständen den morgigen Tag nicht mehr. Ein schönes Lebensmotto. Barbara teilte es nicht. Uplegger war nicht zu erreichen.
    Im LKA Düsseldorf geriet sie an einen Diensthabenden, der keinen großen Eifer an den Tag legte und ihr vorkam, als würde er das auch morgen nicht tun. Die mit Bandenkriminalität befassten Kollegen waren längst aus dem Haus, und über ehemalige Informanten wusste er nichts; aber selbst wenn er etwas wissen würde, sagte er, würde er damit kaum hausieren gehen. Er war nicht einmal bereit, Barbara die Namen jener LKA-Mitarbeiter zu geben, die Informanten führten.
    Barbara sah ein, dass sie einer Schnapsidee aufgesessen war, sie würde also den Dienstweg beschreiten, der in der Regel lang war und bei Landeskriminalämtern noch viel länger. Wenn es sich um Informanten handelte, führte er oft genug sogar in eine Sackgasse. Bei EVA hatte Uplegger schon alles geprüft, der Polizei in MV war Bach nicht bekannt. Barbara rief ihren Kollegen noch einmal an, vermutlich eher, weil sie ein Redebedürfnis hatte, denn er konnte auch keine Hinweise aus dem Hut zaubern.
    Diesmal nahm er ab. Er sagte: »Moment!«, dann ging er vermutlich in einen Nebenraum. »Was ist denn?«, herrschte er sie an. Das war so ungewöhnlich, dass sie für ein paar Sekunden ernsthaft erwog, auch er könnte getrunken haben.
    »Ich habe neue Informationen über Roger Bach. Den mit dem W. Meines Erachtens sollten wir ihn den Verdächtigen hinzufügen.«
    »Ja, tun Sie das.«
    »Sie wollen gar nicht wissen …?«
    »Hören Sie, ich habe im Moment den Kopf voll. Wir können uns gern morgen früh um sechs im Büro treffen und darüber sprechen. Nicht jetzt!«
    Barbara hörte mindestens drei Ausrufezeichen und war völlig verdattert, weil so etwas noch nie vorgekommen war. Sohn hin oder her, Jonas war immer dienstbereit.
    »Was ist denn?«
    »Stress mit Marvin. Nichts Schlimmes. Pubertätsgehabe.«
    Stress mit Marvin? Es war natürlich klar, dass es früher oder später mit einem pubertierenden Sohn Probleme gab, doch Uplegger hatte bisher immer so getan, als wäre alles in Ordnung. So lautete seine Standardantwort, wenn Barbara ihn einmal fragte, wie es Marvin ginge: Alles in Ordnung. Natürlich glaubte sie es nicht, so wenig wie sie jemandem glaubte, der erklärte, seine Kindheit sei immer nur wunderbar gewesen.
    »Ist noch etwas?«, fragte Uplegger unwirsch. Was war denn das für ein Ton? Von wegen nichts Schlimmes – er hörte sich an, als bräche gerade seine schon lange nicht mehr heile Welt zusammen.
    »Nein, nein«, entgegnete Barbara. »Bis morgen, aber nicht um sechs.«
    Ein, zwei Minuten saß sie da, den Hörer in der Hand. Ob Uplegger Hilfe brauchte? Er hatte noch seine Eltern, die einsprangen, wenn es eng wurde, aber wie Barbara sie einschätzte, waren auch sie von Konflikten überfordert. Marvin war der Goldjunge. Wenn das Gold einmal abblätterte und eine lebendige Seele zum Vorschein kam, wurde man bei Upleggers sofort hysterisch. Das vermutete sie zumindest. Irgendwie kam es bei Uplegger und seiner ganzen Familie vor allem aufs Funktionieren an. Auch seine Frau war so gewesen. Alles musste perfekt sein. Wie schrecklich, vor allem für ein Kind!
    In Barbaras üppigem Busen regten sich plötzlich mütterliche Gefühle, und der letzte Schluck Wodka entfesselte den Wunsch, den Nothelfer und Retter zu spielen. Von der Dienststelle zu Upleggers Wohnung war es nicht weit, zu Fuß keine Viertelstunde, mit Kuddel fünf Minuten. Barbara entschied sich für ihren Golf.
    Natürlich wusste sie ganz genau, dass Retter-zugleich Allmachtsphantasien waren, genau so wie sie seit Jahren wusste, dass sie Alkoholikerin war. Ja, sie wusste es. Wie alle Trinker es wussten, ahnten oder spürten – zumindest jeden Morgen teilte der Körper es ihnen mit. Der Brechreiz, das Unwohlsein, das Zittern der Hände, alles eindeutige Signale.
    Aber Wissen und Wissen waren manchmal zweierlei. Es gab ein Wissen, das einen erfreute, es gab ein Wissen, mit dem man prahlen konnte – und es gab eines, das man zu jeder Stunde des Tages verleugnete.
     
    Jonas Uplegger stand mit hängenden Armen im Zimmer seines Sohnes und betrachtete ihn beim Schlafen. Die Sonne war längst untergegangen, aber noch fiel genügend Licht von außen herein, sodass er ihn gut sehen konnte. Marvin hatte es nicht geschafft, sich

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