Moerder Im Gespensterwald
– und nun das. Ali erledigte symbolisch Badegäste, Liebespaare vor allem, mit einem Plastikgewehr, dass einer Kalaschnikow nachgebildet war. Er baute mit seinen Freunden nicht nur eine Waldhütte, er spielte mit ihnen auch Killer. Am PC durfte er das sicher nicht. Aber sie konnte ihn nicht immer kontrollieren.
Kontrolle, dachte Uplegger und erinnerte sich an Barbaras Vorwürfe. Aber reichten Liebe und Zuwendung wirklich aus? Hätten sie vermocht, Ali und die anderen von Mörderspielen abzuhalten? Das war eine rhetorische Frage …
»Am Donnerstag seid ihr doch auch im Gespensterwald gewesen?«, erkundigte er sich, obwohl er es bereits wusste.
Lars nickte. Mit dem Zusammensinken seiner Mutter war er weiter gewachsen und saß inzwischen auf einem sehr hohen Ross. Dass sie von ihm enttäuscht war, schien ihm zu gefallen.
»Von wann bis wann?«
»Nicht lange. So von 10 bis 12.«
»Was habt ihr gemacht?«
»An der Bude gebaut. Da hat wieder jemand Äste und Bretter rausgezogen. Manchmal machen da welche was kaputt. Irgendwelche Jugendliche, glauben wir.«
»Wer war dabei?«
»Kevin, Leo, Timothy, Chris und Morten. Das sind Zwillinge.«
»Also ihr sechs habt den ganzen Vormittag an der Hütte gebaut?«
»Hm.«
»Warum habt ihr dann geschrien?«
»Haben wir nicht.«
»Aber man hat Rufe gehört, Johlen oder so etwas.«
»Ach, so. Ja, Chris und Morten haben gekämpft. Morten hat seinem Bruder was weggenommen.«
»Was denn?«
»Geld.«
»Viel?«
Lars machte eine wegwerfende Handbewegung. »Fünf Euro.«
»Das ist für die viel Geld«, mischte sich seine Mutter ein. »Die kommen aus einer asozialen Familie. Keine Arbeit, aber jedes Jahr ein Kind. Jetzt sind es neun.«
»Kinder?«
»Insgesamt. Eltern und Kinder.«
»Vielleicht stecken dahinter religiöse Gründe?«
»Ach, was! Die sind bloß scharf aufs Kindergeld. Der Staat hat ihnen sogar ein Haus geschenkt.«
»Ich glaube nicht, dass der Staat Häuser verschenkt«, sagte Uplegger, den diese Vorurteile zum Widerspruch reizten. »Aber wie dem auch sei … Chris und Morten haben also miteinander gerungen?«
»Nee. Chris ist bisschen stärker als Morten, der hat den mit dem Kopf immer in den Tümpel getaucht … Wie die Amis!«
Nannte man diese Foltertechnik nicht U-Boot? Oder Waterboarding? Uplegger verstand den Schrecken der Mutter immer besser.
»Und ihr anderen? Was habt ihr gemacht?«
»Na, ihn angefeuert! Mann, wir haben echt gedacht, der macht den tot! Der war so wütend … wegen fünf Euro …«
Uplegger konnte sich nicht erinnern, dass die Spusi irgendwelche Spuren von einem Kampf gegen das Ertränktwerden gefunden hatte, aber dieser Morten musste sich gewehrt, zumindest verzweifelt mit den Beinen geschart haben. Vielleicht hatten die Spuren vom Mord an dem kleinen Wetterstrom die nur Minuten älteren überlagert, und erst eine genaue Auswertung der Tatortbefunde würde sie, wenn überhaupt, ans Licht bringen.
»Hätte euch das gefallen, wenn er ihn totgemacht hätte?«
Lars »Ali« senkte den Blick und schwieg.
Uplegger wiederholte seine Frage.
»Natürlich nicht«, sagte der Junge, ohne Uplegger anzuschauen.
Zum Glück war der Kaffee nicht mehr heiß gewesen, jedenfalls nicht genug, um sie zu verbrühen. Jähnicke war sofort nach seiner Attacke aufgesprungen, hatte ein wenig einladendes Stofftaschentuch aus der Hose geklaubt, es über den Tisch gereicht und sich viele Male entschuldigt. Das Tuch hatte Barbara abgelehnt, die Entschuldigung aber angenommen. Sie hatte immer Papiertücher dabei, mit denen sie sich notdürftig säuberte. Nicht dass ein riesiger Kaffeefleck auf dem weißen T-Shirt sie begeisterte, und auch der Kragen der Lederjacke hatte etwas abbekommen. Aber sie hatte Jähnicke genau dort, wo sie ihn haben wollte.
»Es tut mir so leid«, wiederholte der nun zum x-ten Male. »Ich weiß nicht, wie ich so was machen konnte.«
»Sie haben Ihre Impulse nicht unter Kontrolle. Sie verlieren häufig die Beherrschung, nicht wahr?«
»Hm, hm«, brummte er bloß.
»Liegt das in der Familie? Man hört, dass die Äpfel bei Ihnen nicht weit vom Stamm gefallen sind.«
»Sie kennen doch die Leute. Alles Gequatsche!«
»Lieben Sie Ihre Söhne?« Das hatte mit der Sache kaum etwas zu tun, aber Barbara wollte es trotzdem wissen – um ihn zu verwirren.
»Hä?«, fragte er prompt.
»Ob Sie Ihre Söhne lieben …«
»Wir arbeiten zusammen. Harte Arbeit, das können Sie mir glauben. Wir haben keine Zeit für … für so
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