Moerder Im Gespensterwald
etwas.«
»Sie meinen Gefühle?«
»Hm.«
»Wohnen Joachim und …?«
»Thomas.«
»Sie wohnen noch bei Ihnen?«
»Ja.«
»Warum? Keine Frauen?«
Er hob ratlos die Arme.
»Herr Jähnicke, Sie haben sich mit Joachim und Thomas in Ihrem Haus verschanzt wie in einer Festung. Wenn irgendetwas aus der Welt drum herum in dieses Haus dringen will, Geräusche, Gerüche, Menschen, wehren Sie es ab. Ich glaube auch nicht allen Zeugenaussagen, aber der Eindruck meiner Kollegen ist, dass Sie Krieg führen gegen alles und jeden jenseits des Gartenzauns. Warum? Was ist passiert?«
»Ich habe meine Frau sterben gesehen.« Der große, schwere Mann war immer noch schwer, aber kleiner geworden, weil er sich in sich selbst zusammenkauerte. Genauer gesagt, was da kauerte, war seine Seele. Die in Beton gegossene Seele, die keinen Schmerz mehr empfinden wollte. »Es hat zwei Jahre gedauert. Alle Stadien. Gehstock, Rollstuhl, Bettlägerigkeit. Tröpfe, Magensonde, Beatmungsgerät. Sie wollte nicht im Krankenhaus sterben, wir wollten es auch nicht. Wenigstens durfte sie zu Hause bleiben. Darüber war sie glücklich. Aber wir … zwei lange Jahre …« Er starrte die Tischplatte an, fuhr mit dem schmutzigen Daumennagel die Maserung entlang, hatte einen dicken Kloß im Hals. »Am Ende war sie durchsichtig. Ich konnte die Metastasen sehen !«
»Und Sie starben mit.«, stellte Barbara fest.
»Kann man so sagen.«
»Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht: Ich bedaure Sie für das, was Sie durchmachen mussten. Auch wenn das kein Grund ist … Trinken Sie?«
»Sie meinen Alkohol?« Er schüttelte vehement den Kopf. »Jedenfalls nicht mehr als andere.«
»Dann arbeiten Sie viel.« Auch eine Feststellung.
»Nur.«
»Wenn Sie nicht zur Jagd gehen. Oder aus Ihrer Sicht frech gewordene Ausländer verfolgen.«
»Also gut.« Jähnicke richtete sich ein Stückchen auf. »Erstens, es hatte nichts damit zu tun, dass es Ausländer waren. Das möchte ich klarstellen. Ich bin nicht so einer.« Schon war wieder Wut in der Stimme. »Ich war sauer, ja. Aber zweitens: Ich bin nicht hinterhergefahren!«
»Sondern?«
»Hierher. Zum Kutter.«
»Das war aber die falsche Richtung. Ihr Kutter liegt nicht in Doberan – wo ja auch gar keine Kutter liegen können.«
Jähnicke sog geräuschvoll Luft ein. Er kletterte am Stamm der Palme, versuchte aber, einen ruhigen Eindruck zu machen.
»Ich war in Wismar. Während der Hanse Sail verkaufen wir mehr Fisch, als wir selber fangen können. Und nicht nur fangen, auch zubereiten. Ich habe einen Deal mit der Fischereigenossenschaft Wismarbucht . Da kaufe ich zu.«
»Und bringen es im Jeep nach Warnemünde?«
»Ja. Ist zwar kein Jeep … Ja, ich schaffe es zur Mittelmole.«
»Unterbrechen Sie nicht die Kühlkette?«
»Wollen Sie mich dafür drankriegen?«
Barbara winkte ab. »Ich muss Ihren Fisch ja nicht essen. Warum kaufen Sie nicht bei Ihren Warnemünder Kollegen?«
»Weil die auch ihren Fang den Touristen anbieten. Da ist eine ziemliche Konkurrenz. Außerdem, wenn sich das rumspricht … Die Leute wollen frischen Fisch, von dem sie glauben, wir hätten ihn gefangen. Morgens schwamm der noch lebendig in der Ostsee, ab Vormittag können sie ihn kaufen oder gleich verzehren. Wir machen endlich richtig Umsatz. Wenn es brummt, reicht nicht einmal der Zukauf.«
»Und dann?«
»Schicke ich einen von den Jungs zum Supermarkt.«
Barbara war stolz auf sich, weil sie sich trotz ihrer Kurzsichtigkeit nicht getäuscht hatte. Falls Jähnicke die Wahrheit sagte und in Wismar gewesen war, würde sich das nachweisen lassen, und dann war er aus dem Schneider. Von seinen Söhnen konnte sie das nicht sagen, aber warum hätten sie die Wetterstroms töten sollen? Um die angebliche Beleidigung ihres überempfindlichen Vaters zu rächen? Das schien doch recht abwegig zu sein.
»Wenn es so schwer ist, als Fischer sein Geld zu verdienen, wie können Sie sich dann Ihren dicken Brummer leisten?«
Jähnicke lachte leise; dass sie seinen Hummer als dicken Brummer bezeichnet hatte, schien ihm zu gefallen. »Während der Saison vermieten wir auch. Wir haben einen Bungalow in der Siedlung Alte Schule .« Seine Miene verfinsterte sich wieder. »Noch aus guten Zeiten. Wir brauchen den gar nicht, aber als Ferienhaus wird er gern genommen. Sind nur ein paar Meter zum Strand.«
»Dann haben Sie wirklich viel zu tun, jedenfalls im Sommer.« Barbara nickte anerkennend, dann blickte sie auf die Uhr. Bei Jähnicke, so schien es
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