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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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ausgebeutet werden. Erst an ihrem freien Tag hat sie die Zeitung gelesen und mitbekommen, was im Zug passiert ist.«
    Rauch wohnte in einer Gründerzeitvilla am Stadtrand, über deren säulenbewehrtem Entree sich ein Balkon von der Größe einer Terrasse erstreckte. Sowohl im Erdgeschoss als auch hinter den Balkonfenstern brannte Licht. Uplegger betätigte die Sprechanlage neben dem schmiedeeisernen Tor, die mit einer winzigen Videokamera ausgerüstet war. Es dauerte nicht lange, da fragte eine helle Mädchenstimme: »Ja, bitte?«
    »Kriminalpolizei.«
    »Können Sie uns denn nicht endlich in Ruhe lassen?«
    »Nein.«
    »Mein Mann ist nicht da.«
    »Macht nichts«, sagte Uplegger, obwohl es durchaus etwas ausmachte. Die Frau betätigte den Türöffner, und die beiden Kommissare betraten den leicht gewundenen, mit rötlicher Erde bedeckten Weg, der zwischen bereiften Bodenkoniferen hindurch zur Freitreppe führte. Ein Flügel der Doppeltür unter dem Vorbau wurde geöffnet, ein Junge von fünf, sechs Jahren und mit arabisch-nordafrikanisch anmutendem Gesichtsschnitt erschien und betrachtete neugierig die Kriminalbeamten.
    »Papa ist nicht da«, erklärte er. Dann stürmte er aus dem Vestibül, vorbei an einer jugendlichen Frau, die wie ein Hausmädchen aussah, sich aber mit dem Namen Rauch vorstellte. Sie trug offenbar ihre legere Hauskleidung, Jeans und ein rotes Sweatshirt der University of Southern California, und auf sie traf Sokolowskis Wort von der verhuschten Person geradezu perfekt. Ihr Blick war unstet, es war ihr nicht gegeben, anderen Menschen in die Augen schauen zu können. Zierlich war sie und durchaus nicht hässlich und zweifellos etliche Jahre jünger als ihr Gatte. Schlank war auch Penelope, aber bei ihr bekam Rauch doch mehr Weib für sein Geld. Seine Ehefrau wirkte auf den ersten Blick wie die Prinzessin auf der Erbse, überempfindlich, launisch und egozentrisch, und gemahnte an ein flatterndes Vögelchen, das in der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts zweifellos an Schwindsucht gestorben wäre. Viel, was sich in zarter rotgefleckter Blässe auflösen konnte, war sowieso nicht vorhanden.
    »Süßer Junge«, schleimte Barbara, die Kinder nicht ausstehen konnte, Marvin ausgenommen.
    »Ein libysches Waisenkind. Wir haben ihn vor einem Dreivierteljahr adoptiert.«
    »Sie haben keine eigenen Kinder?«
    »Simon schon.« Frau Rauch, sie hieß nach Aktenlage Dorothée, führte die Besucher in den »Salon«.
    »Wir wollten schon lange ein gemeinsames Kind, aber Gebären verdirbt die Figur.«
    Im »Salon« mischten sich die Stile. Uplegger unterschied im Stillen Biedermeier, Louis VI. und eben Gründerzeit. Ganz im Gegensatz zum hochmodern kühlen Büroschick der Kaviarfabrik ähnelte dieser üppig beladene Raum einem Antiquitätenmarkt. Der Schrei der Farben eines Gemäldes über der Ottomane war der Faustschlag auf dem »I« des Inventars: Ein Kentaur in Orange unterwies unter giftgrünem Himmel einen glutroten nackten Jüngling im Lyra-Spiel. Das mit »PP« signierte Bild war nicht jugendfrei, denn der Pferdemensch verschlang den Knaben mit seinem Blick.
    »Sie kennen die Künstlerin?«
    Dorothée Rauch verzog stumm das Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen.
    »Waren Sie nicht bei der Vernissage in der Wollhalle ?«
    »Was sollte ich da? Ich stamme aus München und bin quasi in der Alten Pinakothek aufgewachsen. Mein Vater ist Kustos für die Niederländer des Goldenen Zeitalters. In Mecklenburg finde ich nichts, was mich interessiert. Die Kunstmühle in Schwaan, nun ja, das ist alles ganz hübsch. Aber doch nichts, was mit Worpswede konkurrieren könnte.« Das sagte sie ganz ohne Leidenschaft.
    Uplegger fühlte sich zum Widerspruch berufen. »Die Landschaften von Franz Bunke finde ich persönlich ganz ausgezeichnet. Ich meine, dass sich die Künstlerkolonien von Schwaan, Ahrenshoop und Hiddensee durchaus mit Worpswede und sogar mit Barbizon messen können. Außerdem haben wir Barlach.«
    Barbara kürzte ab, indem sie fragte: »Sind Sie selbst Künstlerin?«
    »Das nicht. Ich habe vier Semester Kunstgeschichte studiert.«
    »Und arbeiten als …?«
    »… derzeit als Ehefrau und Mutter. Das fordert mich genug. Und nun sagen Sie mir bitte, was ich für Sie tun kann?«
    »Ist Ihr Mann nicht krank?«
    »Nicht dass ich wüsste.« Sie zog an ihren schmalen, exakt manikürten Fingern, als wolle sie diese ausreißen. Ihre Lider zuckten, während die Augen hierhin und dahin rollten. »Er

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