Mörder im Zug
Mailand. Der Ort im Süden heißt Lecce. Herzlich J.U.‹
»Hübsch«, sagte Barbara. Uplegger schnitt ihr mit einer heftigen Handbewegung das Wort ab.
»Sie sprechen Deutsch? Sehr gut.« Man konnte sehen, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel. »Nein, ich bin nicht jeder. Ein Detektīvs von der Rostocker Polizei. Nein, ich kann kein Lettisch. Nein … Ja … Vielleicht …« Er legte die Hand auf die Sprechmuschel. »Er will einen Beweis für meine Identität.«
»Scannen Sie doch Ihren Dienstausweis ein und schicken die Kopie als Mail-Attachment.«
»Gute Idee. – Wir stehen unter Zeitdruck, verstehen Sie? … Natürlich bekommen Sie noch eine offizielle Anfrage von Iekšlietu ministrija zu Iekšlietu ministrija. Nein, wirklich, ich spreche kein Lettisch. Leider nicht. Es muss eine sehr schöne Sprache sein …«
Barbara widmete sich ihrer Lektüre: Die Firma Fiocchi Munizioni war 1876 in Lecco gegründet worden. Giulio Fiocchi, der noch in den Initialen auftauchte, hatte mit Kleinkalibermunition angefangen, 1930 – unter Mussolini – startete der Export. 1945 wurde das Werk durch Bomben zerstört, ein Jahr später begann der Wiederaufbau, und ab 1970 überrollte man den europäischen Markt. Mittlerweile betrieb Fiocchi Produktionsstätten in den USA, in Ungarn und seit 2008 in Großbritannien. Barbara war es etwas peinlich, dass sie von diesem Global Player im Geschäft mit dem Tod noch nie gehört hatte.
Uplegger hatte inzwischen seine Ausweiskopie nach Riga geschickt und erwartete, nervös an einem Bleistift kauend, den Rückruf.
»Heute trainieren wir beide unsere Fremdsprachenkenntnisse«, sagte Barbara und las vor: »Fiocchi Qualifications and Certifications of prestige attest the level of quality …«
Dann schrillte das Telefon. Barbara verließ den Raum. Auch sie hatte ein Ferngespräch zu führen, bei dem es womöglich lauter werden konnte, und sie wählte dafür den Apparat der Sekretärin. Es wurde ein langes Gespräch, arrangiert um den Kernsatz ›Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg‹. Auch sie wurde hin und her und her und hin gestellt, und sie benutzte die gesamte Klaviatur ihrer sprachlichen Möglichkeiten: Sie war süßlich, schmeichlerisch, fordernd, grob. Am Ende machte sie Terror. Sie tobte und brüllte, sie drohte mit der Öffentlichkeit, mit Strafverfolgung, einer Meldung an die Bundesnetzagentur und beinahe mit Gottes Zorn. Endlich, Barbara war völlig durchnässt und sehr durstig, sicherte ihr ein stellvertretender Geschäftsführer zu, sie würde die Verbindungsdaten der gewissen Nummer umgehend erhalten.
Es stellte sich dann zwar heraus, dass umgehend keineswegs sofort bedeutete, aber da Uplegger mit spannenden Neuigkeiten aufwarten konnte, fasste sie sich in Geduld.
»Die lettischen Kollegen von Ekonomisko und so weiter befassen sich seit geraumer Zeit mit dieser Entsorgungsfirma, mit B.C.I. Baltic Cleaning International A.S. A.S. ist übrigens die Abkürzung für Aktiengesellschaft auf Lettisch. Interessant ist die Vorgängerfirma MarBaChem . Ich muss ein bisschen ausholen, aber es lohnt sich. Also, in den 50er und 60er Jahren hat die schwedische Papierindustrie ganz legal ihre Abfälle in der Ostsee versenkt. Rund 21 000 Fässer voll Quecksilber, mit Beton vermischt. Insgesamt zehn Tonnen reines Quecksilber, das nun die Umwelt bedroht: Tritt es ins Wasser aus, verwandeln Bakterien es in Methylquecksilber, das noch zwanzig Mal giftiger ist.«
»Ich meide ab sofort Ostseefisch.«
»Besser ist das wohl. Jedenfalls wird nun ja diese Ostsee-Pipeline gebaut, und die Betreiberfirma Nord Stream AG hat noch vor Baubeginn die MarBaChem beauftragt, in der Nähe der künftigen Gasleitung Giftfässer zu suchen und diese fachgerecht zu entsorgen. MarBaChem barg daraufhin mit einer sehr eigenen Definition von fachgerecht etliche Fässer und kippte sie einfach auf eine normale Deponie nahe der Hafenstadt Ventspils. Als die Behörden ihnen auf die Schliche kamen, verschwand die MarBaChem aus dem Handelsregister, um kurz darauf als B.C.I. wie Phönix aus der Asche wieder aufzuerstehen. B.C.I. gab sich eine Umweltcharta und räumte die Deponie – wofür das Unternehmen erneut kassierte. Und wo die rostigen und teilweise lecken Fässer diesmal geblieben
sind …« Uplegger hob demonstrativ die Schultern.
»Auf Klassenfahrt in Parkentin.«
»So sieht es aus.«
In der Polizeikantine nahm Uplegger zur Feier des Tages das Schnitzel. Kollegin Ramme war schnell über die Straße gedampft, um
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