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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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unmittelbar rechts von ihr befand. Diese Wand war leer, kein Bild, kein Plakat, nichts. Vor ihr stand ein geflochtener Wäschekorb, aus dem es nach verschwitzter Wäsche roch. Auf dem Korb lagen ein Paar Turnschuhe, die ebenfalls einen gewissen Geruch verbreiteten, sowie ein elektronisches Pulsmessgerät, das man am Handgelenk befestigte.
    Das geheimnislose Zimmer eines gewöhnlichen Menschen – Barbara wusste, dass es solche Zimmer nicht gab. Gewöhnliche Menschen existierten wohl, jedoch keine Menschen ohne Geheimnisse.
    Eine Minute nach sieben traf die Spurensicherung ein.

II Acryl
    Die Ostsee war außer Rand und Band. Barbara und Uplegger standen vor dem Al Faro am Fuße des Leuchtturms und konnten die Brecher am nahegelegenen Strand und an der Mole hören. Die Luft war feucht und voll winziger salziger Tröpfchen, auch schneite es wieder. Barbara hielt sich den Mantelkragen zu.
    »Das Überbringen von Todesbotschaften kann ich immer weniger verknusen«, sagte sie. »Das wird keine Routine. Wie schaffen das bloß die Ärzte und Pfaffen?«
    »Für die ist es alltäglicher.« Uplegger betrachtete das Schild über dem Restaurant, das sich in einem alten Haus von Handtuchbreite eingezwängt zwischen einem Kartoffelhaus und einer Bodega befand. Ristorante Al Faro stand dort in einer altertümlichen Schrift. Ein weiteres, lotrecht zur Fassade angebrachtes Schild wies darauf hin, dass hier Rostocker das Hausbier war. »Es wird nun mal weit häufiger auf natürliche Weise gestorben als durch Mord.«
    »Man braucht aber auch ein dickes Fell.« Barbara klopfte Schneeflocken von ihrem Mantel. »Mag sein, dass der Glaube hilft. Wer überzeugt ist, dass nach dem Tod das eigentliche Leben winkt, der kann immer behaupten, der Verstorbene habe sich verbessert.«
    Upleggers Entgegnung war kaum zu verstehen: »Ich hoffe, dass der Glaube auch meiner Frau während ihrer letzten Sekunden geholfen hat.«
    Barbara nickte. Gern hätte sie ihrem Kollegen eine Hand auf die Schulter gelegt, aber das wagte sie nicht.
    »Dass die Familie so gar keine Ahnung hat, wer ihnen die Scheiben eingeschmissen haben könnte, will mir nicht in den Sinn.« Die Spuren der Attacken waren nicht mehr sichtbar. Perviltas Medanauskas hatte die Scheiben und auch das Ladenschild in Ordnung bringen lassen.
    »In Evershagen hat doch mal jemand auf die Straßenbahn geschossen, wissen Sie noch? Ebenfalls mit Diabolos. Auch Busse sind ein beliebtes Ziel für Steinwürfe oder Schüsse. Meistens ist Langeweile das Motiv. Oder die Fahrpreise. Oder sie haben schlicht und einfach ein Rad ab.«
    »Na Sie sind ja süß!« Barbara musste lachen. »Klar, es könnte das sein, was man gern sinnlosen Vandalismus nennt, wobei ich mich immer frage, was denn sinnvoller Vandalismus ist. Oder Rache?«
    »Rache? Wofür?«
    Barbara hob die Schultern und trat näher an die Fenster. Vergeblich versuchte sie, einen Blick in das dunkle Lokal zu werfen.
    »Sie betreiben zwei Restaurants, Jonas«, sagte sie nach einer Weile, »und die Mutter hat eine Boutique am Alten Strom. Offenbar sind das alles wahre Goldgruben, denn sie haben im Stolteraer Weg ein Haus, das fast so groß wie ein Palast ist, und das Haus Am Markt 18 gehört ihnen ebenfalls. Wer so viel Geld hat, ruft unweigerlich Neider auf den Plan. Inhaber von Kartoffelhäusern oder Bodegas beispielsweise …«
    »Okay!« Uplegger scharrte mit dem Schuh ein abstraktes Muster in den Schnee. »Scheiben einwerfen – ja! Aber ein Mord am Sohn?«
    »Daran habe ich eben gar nicht gedacht. Aber wer weiß?«
    »Es könnte sein, dass die Familie bei diesen Investitionen eher Schulden hat als etwas auf der hohen Kante«, gab Uplegger zu bedenken.
    »Ja, das müssen wir überprüfen.« In Barbaras Handtasche meldete sich das Handy. Nach einem kurzen Telefonat sagte sie: »Ein Spusi-Team hat auf dem Parkplatz am Bahnhof Andriejus’ Wagen gefunden. Gehen wir zu Fuß?«
     
    Der Alte Strom lag zu dieser Stunde ebenso verlassen da wie der Platz unterhalb des Leuchtturmes, und auch hier war die dünne Schneedecke noch unberührt. Winterfest gemachte Ausflugsdampfer, Fischkutter und ein Seenotrettungskreuzer dümpelten am Kai vor sich hin. Auf den Relings der Schiffe, auf den Befestigungspfählen und Zäunen hockten Möwen und sogar Kormorane, die im Schlaf gestört, die beiden Kommissare anblinzelten. Die Möwen waren notorische Straftäter, die den Touristen die Fischbrötchen stahlen, weshalb es seit einigen Jahren verboten war, sie zu füttern.

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