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Mörder im Zug

Mörder im Zug

Titel: Mörder im Zug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goyke
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seinem von Kopfschmerz vernebelten Gehirn. Das Wort für Gedächtnisverlust. Amnesie.
    Kaum gefunden, war das Wort durch seinen Kopf gekreist, immer schneller und schneller, so als handle es sich um etwas Magisches, mit dem man die Erinnerung beschwören konnte. Nach langer Zeit – nach Stunden? – hatte es ihn verlassen, doch das war kein Grund zum Aufatmen gewesen, denn es war durch die dünne Wand gekrochen und von den Stimmen aufgenommen worden, die es nun brüllten, sich die Mäuler über das Wort zerrissen, darüber lachten und es manchmal sogar sangen, nur um sich über ihn lustig zu machen: »Amnesie, Amnesie, er hat sie, er hat sie!«
    Der Mann ballte die Hände zu Fäusten. Er musste die Erinnerungen festhalten. Nach Güstrow war er nicht aus freien Stücken gefahren, man hatte ihn geschickt. Mit einem Auftrag. Wegen seines Auftrages. Er hatte dort … Was? Was hatte er? Dort? Was denn nur?
    »Amnesie, Amnesie, er hat sie, er hat sie!«
    »Lasst mich in Ruhe!«, rief er und schlug gegen die Wand.
    Der Mann riss das Fenster auf, knallte es zu, riss es auf, knallte es zu …
    Er war so verzweifelt. Er hatte solche Angst. Er musste etwas tun.
    Am liebsten würde er die Einrichtung seiner Wohnung zerschlagen, Stück für Stück. Aber das konnte er nicht.
    Er hatte es schon getan.
     
    Im Al Faro war die Tresenbeleuchtung eingeschaltet, sodass man durch die Fenster den schmalen, schlauchartigen Gastraum sehen konnte, der acht Tischen Platz bot. Mit einem Wandgemälde, das den Blick von einer Terrasse auf das weite blaue Meer darstellte, mit antiken Säulchen, Skulpturen und Putti aus Gips war ein quasi germanisiertes italienisches Ambiente geschaffen worden. Auf den Tischen standen neben Blumengestecken silberfarbene Menagerien, die jeweils eine kleine Trikolore in den Farben Italiens schmückte. Wer immer Licht gemacht hatte, zu sehen war er nicht. Barbara stellte sich auf die Zehenspitzen, entdeckte aber nur einige Papiere auf dem Tresen sowie gleich zwei Autoschlüssel.
    Uplegger hatte sich zur Tür begeben. Da sie verschlossen war, klopfte er ein paar Mal, und schließlich erschien aus einem Nebenraum, vielleicht der Küche oder dem Lager, Riccardo. Er trug nun Jeans und Turnschuhe sowie ein Kapuzenshirt, auf dem unter dem Schriftzug Firenze die beiden Engel von Raphaels Sixtinischer Madonna abgebildet waren. Riccardo sah in dieser Kluft aus wie ein Halbwüchsiger, und Barbara verbot sich, ihn hübsch zu finden.
    Er schloss die Tür auf und ließ die beiden Kriminalisten ein, wenngleich ihr Besuch ihn nicht zu freuen schien. Vom Tresen drang das Gurgeln einer Kaffeemaschine. Riccardo deutete auf einen der Tische.
    »Kaffee?«, fragte er knapp. Barbara bejahte. Mit schnellen, federnden Schritten begab sich der junge Mann an die Theke, nahm die Papiere und steckte die Autoschlüssel in die Tasche.
    »Sie öffnen doch erst am Abend?«, sagte Uplegger.
    »18 Uhr.« Riccardo umrundete den Tresen und nahm drei Kaffeetassen aus einem Klappschrank. »Sie haben vermutlich falsche Vorstellungen von der Arbeit eines Gastronomen. Wir haben zwar um elf Küchenschluss, aber ansonsten Open End. Gestern habe ich schon um zwölf zugemacht – es ist Winter, verstehen Sie? Aber dann kann ich noch lange nicht gehen; es muss abgewaschen, gespült und poliert werden, gefegt und gewischt, na, und die Abrechnung. Halb zwei hab ich abgeschlossen.« Er gähnte und füllte die Tassen.
    »Haben Sie kein Personal?«, erkundigte sich Barbara.
    »Doch. Pauschalkräfte. Gestern waren zwei da, eine Studentin und ein arbeitsloser Knabe, der manchmal modelt und manchmal kellnert.«
    »Also gutaussehend.«
    »Sie können keinen Quasimodo auf die Gäste losschicken.« Riccardo stellte die Tassen auf ein Tablett. »Man darf die Pauschalkräfte nicht aus den Augen lassen. Auf der Mittelmole gab es mal einen Pub, der brummte ziemlich, aber wenn der Betrieb abends so richtig losging, ist der Inhaber zu seiner Familie gefahren. Der war schneller pleite, als man gucken kann.« Er öffnete einen Kühlschrank, nahm ein Sahnekännchen heraus, platzierte es ebenfalls auf dem Tablett und kam dann zu Barbara und Uplegger an den Tisch.
    »Und jetzt sind Sie schon wieder hier«, bemerkte Uplegger.
    Riccardo verteilte die Tassen. »Ich erwarte um neun eine Lieferung. Fisch. Kommt aus Hamburg.«
    »Aber Sie haben Fischer direkt vor der Nase …«
    »Die Fangsaison ist vorbei. Außerdem passt Ostseehering nicht unbedingt zur italienischen Küche.« Ein

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