Mörder im Zug
hieß.
Uplegger pfiff laut und falsch vor sich hin. Beim Starten des Motors war sofort auch das Radio angegangen, und von den Kollegen, die den Wagen zuvor benutzt hatten, war Küstenradio MV eingestellt worden, ein Sender, den Barbara zweifellos Äther Geistfrei oder ähnlich nennen würde. Stündlich liefen dieselben Titel, die man anscheinend en masse zu einer Art Großhandelspreis einkaufte, unterbrochen nur von in hysterischem Ton vorgetragenen Nachrichten und dümmlichem Moderatorengeschwätz. Uplegger störte das nicht. Dem Gerede hörte er nicht zu, manchen Titel pfiff er mit. Er fühlte sich trotz der durchwachten Nacht fit und optimistisch. Das Einzige, was ihm Sorgen bereitete, war Marvin. Er hatte ihn angerufen und informiert, dass es kein gemeinsames Frühstück geben würde, was nichts Neues war. Was mochte sein Sohn bei dem Telefonat empfunden haben? Bedauern oder Erleichterung? Marvin war sehr selbstständig. Zu selbstständig? Barbaras Aufforderung, mit seinem Kind doch einmal über Gefühle zu reden, hatte Uplegger ganz unruhig gemacht.
Bei der Dienstberatung waren erste Ermittlungsergebnisse auf den Tisch gekommen, die Upleggers leisen Optimismus begründeten. Beamte von Bundespolizei und Kripo hatten am frühen Morgen alle Bahnhöfe an der Strecke nach Güstrow aufgesucht und waren durch mehrere S-Bahn-Züge gegangen, um die Reisenden zu befragen. Auf diese Weise war es ihnen gelungen, einige der Personen zu identifizieren, die den 9511 am Abend zuvor benutzt hatten.
Die Namen der drei Jungen, die von Güstrow bis Mistorf gefahren waren, standen zuerst fest: Sie hießen Mike Arndt, Kevin Petermann und Lars Rutkowski und waren 16 und 17 Jahre alt. Arndt und Petermann besuchten das Güstrower John-Brinckman-Gymnasium, Rutkowski war Zimmermannslehrling bei der Firma Baukontor . Alle drei hatte Uplegger zu einer Vernehmung vorgeladen.
Kurz hinter Laage hielt es Barbara nicht mehr aus und betätigte die Lichthupe. Uplegger reagierte nicht. Er hatte auf ihren Wunsch hin die Führung übernommen, weil sein Mobiltelefon über GPS verfügte. Wenn ihr sein Fahrstil nicht passte, sollte sie ihre Ablehnung bestimmter technischer Errungenschaften aufgeben. Dann würde er ihr folgen. Damit hatte er keine Probleme. Allerdings würde sie ihn vermutlich so schnell abhängen, dass man bei ihr von Führung nicht würde sprechen können.
Den dritten Zug des Tages hatte dann in Lüssow ein gewisser Martin Lindow bestiegen, ein 46 Jahre alter Mann, der auf der Störfarm arbeitete. Im 9511 hatte er im Unterstock des mittleren Waggons gesessen, logischerweise nur bis Lüssow, wo er wohnte, sodass ihn der später an Bord gekommene Giehlow nicht hatte bemerken können.
Durch Lindow hatte man auch den Mann im blauen Blazer, dessen Alter Wachmann Sokolowski gut geschätzt hatte; er war 51, hieß Heiner Konwitschny und war ebenfalls bei Golden World beschäftigt. Die beiden Männer waren zusammen in Güstrow eingestiegen und hatten sich vor Lüssow voneinander verabschiedet.
Uplegger riskierte einen Seitenblick aus dem Fenster. Das Land links und rechts der Autobahn war keineswegs platt wie ein Tisch, wie sich die unwissenden Südländer Mecklenburg gern vorstellten, sondern erstreckte sich in leichten Wellen bis zu Wäldern, die den Horizont verdeckten. Die brachliegenden Äcker waren unter einer dünnen Schneedecke verschwunden, Heerscharen von Nebelkrähen hatte es sich auf ihnen gemütlich gemacht. Ein fasriger Dunst lag über allem, die Wolken hingen tief und schienen die Kronen der weit entfernten Bäume zu berühren, es sah nach Schnee aus, aber momentan schneite es nicht.
Auch Cindy hatte eine der frühen Bahnen benutzt. Sie war in Pölchow zugestiegen – und da war Uplegger aufgegangen, dass sie Giehlow zu fragen vergessen hatten, ob er am Abend jemanden auf dem Bahnhof gesehen hatte, ein peinlicher, aber leicht zu korrigierender Fehler. Sokolowski hatte den Namen nicht richtig verstanden, aber das war kein Wunder: Cindy hieß Sandy. Sandy Ball war 25 und hatte im September in Güstrow eine Lehre als Bürofachgehilfin bei der Arbeitsagentur begonnen.
An Barbaras Einschätzung hatte das nichts geändert. ›Wer blond ist und erst mit 25 eine Ausbildung anfängt, hat zumindest die Seele einer Frisörin‹, hatte sie Uplegger zugeraunt. Der hatte die Augen verdreht. Er wusste manchmal nicht, ob sie ihre vielen Vorurteile bloß ironisch meinte, denn für Ironie besaß er nur eine schwache Antenne.
Ein
Weitere Kostenlose Bücher