Mörder im Zug
in Villen, Limousinen, Segelyachten … in ein Dolce vita auf Kosten der Allgemeinheit.
Sie seufzte. Uplegger fuhr 40! Aber, o Wunder, auch im Schneckentempo gelangten sie nach ein paar Schlenkern zu den Bahngleisen, die es zu queren galt. Barbara warf einen Blick zum Bahnhof, wo gestern Abend der 9511 seine Fahrt begonnen hatte. Mehrere Bundespolizisten waren unterwegs, einer von ihnen führte einen Hund.
Vor dem Landgericht München I hatte es einen Prozess gegen Rauch und seine Helfershelfer wegen Anlage- und Fördermittelbetrugs, Bilanzfälschung und Insolvenzverschleppung gegeben, aber dagegen hatten die Angeklagten eine Phalanx von Staranwälten aufgeboten, die das Gericht mit Befangenheits- und Beweisanträgen ermüdeten. Außerdem hatte Rauch als gebildeter Mann aus guter Familie eine günstige Sozialprognose. Er würde zwar immer wieder betrügen, aber er kam nicht aus der Gosse und trug Krawatte. Beste Voraussetzungen, um mit einer väterlichen Ermahnung und einer Geldstrafe davonzukommen, dachte Barbara verbittert.
Vor sechs Jahren dann war Rauch in Güstrow angekommen. Mecklenburger Kaviar für den Weltmarkt zu produzieren, das erschien nicht nur ihm, sondern auch der Stadtverwaltung, den Parteien und dem Wirtschaftsministerium eine glänzende Idee zu sein. Der Kaviar brauchte Arbeitskräfte, Fördermittel und viel privates Kapital. Rauch war rausgeworfen worden und auf Start zurückgegangen, er hatte eine Sechs gewürfelt, und das Spiel begann von Neuem.
Vor der Arbeitsagentur, in der Sandy Ball ihre verspätete Ausbildung absolvierte, lenkte Uplegger vom Bahnhofsplatz in die Speicherstraße zum Gewerbegebiet gleichen Namens. Barbara folgte ihm. Hier war sie noch nie gewesen. Es schneite, aber es war nicht so stürmisch wie in Warnemünde, und die Flocken schwebten sacht zur Erde herab, wo sie schmolzen. Links entdeckte sie einen Club Gleis 5 , dem ein Stück weiter eine schöne Villa folgte, in der man die Musikschule untergebracht hatte. Eine weitere Villa, mit Turm und frisch saniert, beherbergte eine Anwalts- und Steuerberatungskanzlei. Ihr schloss sich ein großes Gelände an, auf dem ein Unternehmen namens Qualitätsprüfungs- und Dienstleistungsgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern GmbH MQD angesiedelt war. Barbara liebte solche Bezeichnungen. Zu der beschränkt haftenden Gesellschaft gehörte nicht nur ein Institut für Milch- und Lebensmittelanalytik, sondern auch eine Regionalstelle Rind, Schwein. Barbara war entzückt. Sie ließ einfach das Komma weg: Regionalstelle Rindschwein, dachte sie und stellte sich vor, dass hier unter Einsatz von Dioxin monströse Nutztiere geklont wurden, in deren Leibern nicht nur Wurst und Schinken heranwuchsen, sondern auch das Verpackungsmaterial.
Die rechte Seite der Speicherstraße sah aus wie nach einer Naturkatastrophe. Mit rotem Klinker versehene Werkhallen gammelten vor sich hin, und ein Verwaltungsgebäude aus der DDR-Zeit ragte mit leeren Fensterhöhlen nutzlos in den grauen Tag. Hier hatte man, der Aufschrift GÜPOL – Polstermöbel aus Güstrow zufolge, einst Couchgarnituren und dergleichen verfertigt, aber der alles verschlingende Markt schien keinen Appetit mehr auf Güstrower Möbel zu haben.
Die Golden World Caviar Production hatte ihre Betriebshalle beim Zuckerberg auf der grünen Wiese errichtet, eine langgestreckte Riesenschachtel aus grauem Blech, ohne Fenster, aber mit einem roten Streifen unterhalb des Daches. Neben der Halle befand sich das Verwaltungsgebäude, ein hellgelb gestrichener Putzbau, der mit vielleicht vier, fünf Jahre alt war. Eine Vorhalle aus Glas und mit roten Stahlträgern lud den Besucher in ihrer Hässlichkeit ein, sofort umzukehren. Zwischen den beiden Gebäuden erstreckte sich ein Parkplatz. Damit sich niemand an den Stören vergriff, wurde das Firmengelände mit Videokameras überwacht.
Weil Barbara auf den letzten Metern getrödelt hatte, stand Uplegger schon vor dem Eingang und tippte auf seine Armbanduhr.
»Wo bleiben Sie denn?« Nun war er der Ungeduldige. »Der Geschäftsführer erwartet uns um elf.«
»Wie spät ist es denn?«
»Vier Minuten nach.«
»Na, dann hatte er etwas mehr Zeit, um seinen dreckigen Stecken zu verbergen.«
Sie betraten das Bürogebäude und landeten vor einem Tresen, an dem kein Bier ausgeschenkt wurde. Ein junger Mann mit Pickelgesicht und in Wachschutz-Uniform, dem die Selbstunsicherheit deutlich anzusehen war, erkundigte sich mit aufgesetzt forscher Stimme nach ihrem Begehr.
Weitere Kostenlose Bücher