Mörder im Zug
seinen Bürgschaften im Regen.«
Barbara blies hörbar Luft aus. »Die Millionen sind weg?«
»Wenn es hart auf hart kommt … Die Stadt wäre dann vermutlich dermaßen überschuldet, dass sie unter Notverwaltung gestellt würde. Wissen Sie, es ist auf kommunaler Ebene nicht anders als ganz oben: Wer Macht hat, klebt an ihr. Die Verantwortlichen möchten mit allen Mitteln verhindern, dass ein Staatskommissar die Verwaltung übernimmt.«
»Kannte Medanauskas diese Zusammenhänge?«
»Na ja, ich habe mich mit ihm in der Villa Italia getroffen. Er hat mir von den Ereignissen in der Störfarm erzählt, ich ein bisschen von den Geschäften der Stadt. Quid pro quo, so hieß es doch in Das Schweigen der Lämmer ?«
»War er gestern hier? Nach 18 Uhr?«
Miriam schaute Barbara überrascht an. »Nein. Um sechs war ich schon auf dem Weg zur Vernissage. Genauer gesagt, zur Presseführung. Wieso fragen Sie?«
»Weil er um diese Zeit das Betriebsgelände verlassen, aber erst den Zug 21:30 Uhr genommen hat. Haben Sie eine Ahnung, wo er gewesen sein könnte?«
Miriam schüttelte den Kopf.
»Ich würde gern Ihre persönliche Ansicht erfahren.« Barbara rüstete zum Aufbruch. »Könnte Andriejus Medanauskas etwas gewusst haben, das für Rauch gefährlich ist?«
»Ich weiß nicht.« Miriam erhob sich, brachte Barbara zur Tür. »Aber eins weiß ich gewiss: Wenn Rauch stürzt, dann hinterlässt er in Güstrow verbrannte Erde.«
***
Das winzige Kind auf dem Rücksitz weckte in Uplegger mit Melancholie geladene Erinnerungen: Er sah sich vor fast 14 Jahren, wie er an einem kalten Novembertag einen Sohn aus den Armen seiner Frau entgegennahm. Aus dem Klinikum in der Rostocker Südstadt hatte er sie abgeholt, damals noch mit dem altersschwachen Golf, und war zu ihrer alten Wohnung bei der Hundertmännerbrücke gefahren. Ines war ausgestiegen und hatte ihm den Säugling in den Arm gelegt. ›Trag du ihn hoch‹, hatte sie gesagt. Wie er sich da angestellt hatte! Mehrmals hatte sie ihm sagen müssen, dass Marvin nicht aus Porzellan bestand. Uplegger seufzte. In jenen Tagen war noch nicht abzusehen gewesen, dass Ines mit Kampagnen für Rostocker Großereignisse so viel verdienen würde.
Sandy Ball bestand nach wie vor darauf, nur zum Güstrower Bahnhof gebracht zu werden. Es gab keinen Grund, ihren Wunsch nicht zu erfüllen, denn inzwischen hatte sie bereitwillig erzählt, wen sie am oder im 9511 gesehen hatte: Konwitschny, Lindow und den noch unbekannten Mann mit Bart und wirrem Haar. Sie hatte beobachtet, wie diese Männer am Fenster vorbeigingen. Und sie erinnerte sich an den Wachmann, der selbst auf sie merkwürdig unsicher gewirkt hatte.
Da sie regelmäßig mit dem Zug zur Arbeit fuhr, waren ihr alle vier vom Sehen bekannt. Dem noch Namenlosen allerdings war sie im Sommer zum letzten Mal begegnet. Sie erinnerte sich, dass es ihr vorgekommen wäre, als führe er ein Selbstgespräch. Dann war ihr noch eingefallen, dass sie ihn auch in Rostock einmal vor dem Baumarkt im Industriegebiet Nobelstraße gesehen hatte. Ihr war sogar in Erinnerung geblieben, dass der Unbekannte schwarze Folie gekauft und dann enorme Schwierigkeiten gehabt hatte, dieselbe auf seinem Fahrrad zu befestigen. Sie hatte sich darüber mokiert, wie man so dumm sein konnte, mit dem Rad zum Baumarkt zu fahren, wenn man etwas Unhandliches kaufen wollte. Uplegger hatte ihr schließlich eine Kopie des Fotos aus Medanauskas’ Pass vorgelegt. Auch ihn hatte sie bereits ab und zu ihn in der S-Bahn gesehen, jedoch nicht am Vortag.
Der Kommissar brachte den Wagen auf Höhe des John-Brinckman-Denkmals an einer Ampel zum Stehen. In einigen Minuten würde seine Zeugin aussteigen.
»Nur ein paar Dinge noch«, sagte er. »Wie lange mussten Sie gestern arbeiten?«
»Bis 19 Uhr. Wir hatten verlängerte Sprechzeit.«
»Und dann haben Sie … Sheila Madonna von der Tagesmutter abgeholt?«
»Ja. Sie war das letzte Kind. Das war aber so abgesprochen.«
Die Ampel sprang auf Grün, Uplegger fuhr an. Schneeflocken klatschten gegen die Windschutzscheibe.
»Warum haben Sie erst den Zug um 21:30 Uhr genommen?«
»Na ja, wir haben uns irgendwie festgequatscht.« Sandy Balls Stimme wurde wieder dünn. »Kennen Sie das nicht? Man merkt gar nicht, wie die Zeit vergeht. Ich habe Danilo aber angerufen, damit er mich vom Bahnhof abholt.«
»Und? Hat er das gemacht?«
Frau Ball schüttelte den Kopf.
»Auf der Karte sieht es aus, als wäre es ziemlich weit vom Bahnhof Pölchow in
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