Mörder und Marder
und setzte nach kurzer Pause hinzu: »Übrigens ist der Mörder nackt. Aber dazu später mehr. – Er geht in Schusters Zimmer; er weiß ja, daß es nicht abgeschlossen ist, wie alle anderen auch.«
Adelheid starrte ihn mit brennenden Augen an. »Weiter, weiter. Machen Sie es nicht künstlich spannend.«
»Ja. Wie das Bild zeigt, war der Marder nicht im Käfig. Er ist vermutlich, als der Mörder die Tür geöffnet hat, aus dem Zimmer gesaust und hat sich im Haus herumgetrieben; Henry hat ihn ja heute früh gefunden. Der Mörder schließt die Tür hinter sich. Dann geht er zu Schuster, der betrunken daliegt und schnarcht. Er drückt ihm, wahrscheinlich mit seinem linken Unterarm, das mitgebrachte Handtuch auf den Mund. Damit er nicht schreien kann. Mit den Fingern der Linken öffnet er das linke, leere Auge. Dann rammt er ihm mit der Rechten den Eiszapfen in die Augenhöhle.«
Henry nickte; sein Gesicht war düster. Genenger hob die Brauen und schien an weit entfernte Dinge zu denken. Melcher seufzte. Jorinde schüttelte langsam den Kopf, ohne aufzuhören; Evita hatte die Hände vor den Mund gelegt; Susanne starrte Matzbach mit offenen Augen an, aus denen kleine Tränen kullerten – nicht der Trauer, sondern der Anspannung. Adelheid bückte sich und zerrte abwechselnd an der rechten und der linken Gamasche. Niemand sprach.
Matzbach strählte die Wamme des Marders mit den Fingernägeln. »Wenn man weiß, wie man ansetzen muß, kommt man ohne Schwierigkeiten aus der Augenhöhle ins Gehirn. Die Knochen etcetera sind da nicht besonders dick. Man braucht auch kein Studium der Anatomie dafür; längeres Lesen reicht. Schuster hat vermutlich im Todeskampf zu schreien versucht und sich unter Handtuch und Arm des Mörders die Lippe zerbissen. Ich schätze, Schuster hat außerdem noch mit den Armen um sich geschlagen und dabei das Augenglas mit Glasauge vom Kommödchen gewischt. – Nun steckt der Eiszapfen in der Augenhöhle. Er wird sich auflösen, aber so lange kann der Mörder nicht warten. Er hat sich überlegt, daß der Zapfen entweder herauszuziehen ist, oder daß er sich im Kopf verhakt, festklemmt und Schwierigkeiten macht. Für diesen Fall hat er einiges mitgebracht. Er stellt den Kerzenstummel hin und zündet ihn an. Wie gesagt, falls er den Eiszapfen nicht ohne Probleme herausziehen kann. Über der Flamme erhitzt er die Schlinge aus Kupferdraht, streift sie über den Eiszapfen und versucht, ihn möglichst tief im Auge zu schmelzen. Das geht nur bedingt, denn die Schlinge läßt sich in der Augenhöhle kaum zuziehen, weil man nicht genug Platz zum Nachfassen hat. Der Mörder hat aber ein abgebrochenes Küchenmesser bei sich. Mit einem spitzen Gerät würde er nicht zurechtkommen; die breitere Bruchstelle an der demolierten Küchenmesserklinge kann er aber in den vom heißen Draht geschmolzenen Eisspalt schieben und drehen. Er bricht mit dem Messer den Eiszapfen ab; ich nehme an, dabei rutscht er noch einmal aus und macht so die Klinge blutig.«
Selbst der Marder war beeindruckt und schwieg, falls er keine anderen Gründe dafür hatte. Alle saßen um den Tisch und starrten Baltasar an. Einige Augen waren entsetzt, andere verwundert, wieder andere fragend.
Matzbach räusperte sich. »Weiter. Der Mörder schreckt nicht einmal davor zurück, den Schmutzfinken Schuster auszuziehen. Er – ach so, da hab ich was vergessen. Er sucht nach dem Glasauge, denn das gehört zu seinem Plan. Nun hat Schuster, schätze ich, in der Agonie das Glas samt Auge vom Nachttisch gewischt. Das Glas ist wahrscheinlich auf dem Boden zerbrochen. Der Mörder öffnet das Fenster, sammelt die Glasscherben, zumindest die größeren, und wirft sie ganz einfach hinaus. Er hebt das Auge auf und schiebt es in die leere Augenhöhle. Der Eiszapfen wird sich langsam auflösen und entweder heraussickern oder in der Höhle bleiben, jedenfalls ist von außen nichts zu sehen. Nun nimmt der Mörder die Bettdecke, wirft eine auf den Fußboden vor das Bett, die andere unter das Fenster. Wahrscheinlich ist dort das Glas zerbrochen; wahrscheinlich liegen in der entstandenen Pfütze noch Splitterchen. Die Decke saugt das Wasser auf. In einem Polizeilabor finden sich vielleicht noch Glasteilchen; das bleibt abzuwarten. Nun geht der Mörder daran, das Zimmer in Unordnung zu bringen, damit es aussieht, als ob ein Kampf stattgefunden hätte. Er zieht Schuster aus, um weitere Verwirrung zu stiften, legt das Kommödchen auf den Rücken, zerbricht die Glühbirne
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