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Mörder und Marder

Mörder und Marder

Titel: Mörder und Marder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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sich: Vom nächtlichen Mond fallen Blutstropfen auf einen Pfad, der sich fern zwischen zwei Türmen verliert; ein Hund und ein Wolf heulen, und ein Krebs kriecht aus Schleim an Land.
    »Seltsame Mischung«, sagte Jorinde. »Erfolg einerseits, andererseits dieses düstere Bild. Im Prinzip ist das ein Deflorationssymbol – Blut und wuchernde Ängste angesichts einer ungewissen Zukunft. Auch ein Übergang. Ich schätze, deine Finanzen bleiben bestens, aber du bist unglücklich, weil du alte Albträume mit dir schleppst, dich nicht ernsthaft für einen Weg entscheiden kannst. Hör auf, mit deinem Gemüt zu spielen; nimm dich als Mensch ernst, damit du beruflich albern bleiben kannst.«
    Matzbach grinste wieder. »Klingt wie ein Horoskop, das sich jeder anstecken kann.«
    Susanne Steul sagte nichts; sie starrte auf die Karten.
    »Und was haben Sie?« sagte Baltasar.
    Jorinde lächelte und deutete auf die Karten vor ihr, die sie bisher mit ihrem weiten Ärmel verdeckt hatte. »Kreuz Sechs. Energie, Unternehmungsgeist und Aktivität. Was das Große angeht, hätte ich natürlich gern
Die Kaiserin
oder
Die Päpstin
gehabt, aber
das
ist so schlecht auch nicht.«
    Vor ihr lag
Der Gaukler
, auch
Der Magier
genannt: ein Mann, der mit den goldenen Bällen des Seins jongliert.
    Baltasar zwinkerte. »Das ausgereifte Ego, das sich, anders als der Eremit, nicht absondert, sondern Teil des Ganzen ist und alles dirigiert. Gratuliere. Übrigens eine tolle Show, Jorinde.«
    Sie neigte den Kopf, mit einem ironischen Lächeln. Genenger klopfte auf den Tisch, nach und nach fielen die anderen ein, und Baltasar trampelte sogar mit den Füßen, bis der Marder ein Jaulen ausstieß.
    »Und was«, sagte Henry, »haben wir nun davon?«
    Jorinde runzelte die Brauen und sah an die Decke. »Ich habe euch das Wichtigste gesagt, wenn auch nicht alles. Aber was ich euch gesagt habe, reicht aus, um durch Nachdenken darauf zu kommen. Die Karten haben den Mörder genannt.«
    Schweigen senkte sich über die Versammlung. Nur das Knistern des Feuers und das Fiepen des Marders waren zu vernehmen.
    Matzbach zerbrach die feierliche Stille, indem er sich räusperte. »So kann man das nicht sehen. Ich möchte es anders formulieren – das Spiel des Zufalls hat dem Mörder eine Karte vorgelegt, die zu ihm und seiner Tat paßt.«
    »Ja, aber, wieso, ich meine – wer ist es denn?« sagte Evita verwirrt.
    Matzbach erhob sich und ging langsam auf und ab. »Was unsere Magierin da betreibt«, sagte er, »ist ein legitimer Versuch, das Universum zu enträtseln. Ich habe kein persönliches Verhältnis dazu, finde es aber sehr interessant. Mir fehlt das, was, glaube ich, Schopenhauer das Metaphysische Bedürfnis nennt.«
    »Sehr aufschlußreich«, sagte Henry. »Hat das was mit dem Mord oder den Karten zu tun?«
    Matzbach ignorierte ihn. »Die Welt ist absurd und ungerecht, und die Spielregeln, nach denen einer hundert Jahre alt wird, der andere mit zwanzig stirbt, der dritte Glück hat und der vierte mangels Intelligenz Philosophie studieren muß oder in die Politik geht, diese Spielregeln des Kosmos sind nicht durchschaubar. Deshalb versuchen alle möglichen Systeme, das zu erklären, was die Augen und die Sprache nicht erfassen können. Mathematik, zum Beispiel, ist ein mystisches Zeichensystem, mit dessen Hilfe praktisch kaum faßbare Dinge begriffen werden sollen. Ähnlich magisch ist die Kabbala, die durch Zahlen und Zeichen die geheime Sprache rekonstruieren will, mit der laut Genesis Gott die Welt erschuf. Wenn man das Wort findet und rückwärts ausspricht, wird die Schöpfung aufgehoben. Es gibt viele magische Verfahren dieser Art; die meisten sind sprachlich. Manche Leute sagen von sich, sie seien progressiv, und wenn sie es oft genug sagen, glauben sie es auch. Andere okkulte Wörter sind etwa ›Fußball‹ oder ›Demokratie‹ oder ›Dialektischer Materialismus‹, die allesamt, rituell wiederholt, dumpfe Glücksgefühle erzeugen. Ahemm. Aber sie alle, wie auch die spekulative Metaphysik, tasten im Dunkeln und erfinden Regeln, die nicht unbedingt die sind, nach denen das Universum funktioniert. All diese Ansätze sind unzufrieden mit der absurden Welt und wollen aus dem Chaos ein einheitliches Universum machen. Die klassische Magie ist aber ehrlicher als die anderen; sie geht nämlich davon aus, daß mit unseren Mitteln, unseren Zeichen und Sprachen die Spielregeln nicht zu finden sind.«
    »Du schweifst wild im Kosmos herum«, murrte Hoff. »Komm zur Sache

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