Mörder und Marder
zu. Melcher schrie leise und betrachtete seinen blutenden Finger.
Genenger grinste. »Ich hätte auch widersprochen.« Er rekelte sich und ging zur Tür. »Aber jetzt los, Aufbruch, Weg bahnen, Telefon!«
»Moment«, sagte Baltasar. »Bevor Sie sich aufmachen, um die Polizei zu holen, haben wir noch den Verbleib der Leiche zu klären. Alles in den Hintergarten, bitte sehr.«
Sie gingen langsam hinaus; Melcher ging allein. Hoff zupfte an Matzbachs Trenchcoat, und der Dicke schob seinen Arm unter den von Henry. »Sie wünschen, teurer Freund?«
Henry deutete mit dem Kinn auf den vor ihnen schleichenden Arthur Melcher. »Na, bist du zufrieden? Du wolltest doch immer schon mal nen schönen Puzzlemord haben, oder?«
Matzbach spuckte in den zertrampelten Schnee, der immer noch sehr tief war. »Nein. Ich bin nicht zufrieden. Erstens weiß ich immer noch nicht, welches Auto ich mir anschaffen soll. Zweitens war das Puzzle einerseits viel zu einfach und von Anfang an offensichtlich, andererseits unvollständig. Ein richtig klassischer Fall ist einer, bei dem sich auch das Motiv zusammensetzen läßt. Und davon kann ja hier nicht die Rede sein.«
Hoff hob die Achseln. »Na schön, aber das war nicht anders möglich. Keiner von uns wußte, daß Arthur nicht mehr selbständig dichtet. Und keiner wußte, daß er von Gaspard erpreßt wurde. Und keiner wußte, daß sie beide den gleichen reichen Knopf kennen. Ohne diese Kenntnis war, schätz ich, das Motiv nicht herauszubekommen. Und wenn wir auch nur ein bißchen davon gewußt hätten, wär alles von Anfang an offensichtlich gewesen.«
»Lange Rede, Henry. Aber es stimmt schon. Nun ja, vielleicht krieg ich doch noch mal einen schönen tüfteligen Detektivfall. Das Leben ist noch lang.«
Henry lachte kurz und knuffte Matzbach in die Rippen. »Was machen wir mit dem Marder?«
»Kommt zur Erbmasse, zu treuen Händen der Kripo. Ich finde ihn niedlich, aber was soll ich in Bonn mit ihm?«
Genenger, der hinter ihnen ging, räusperte sich plötzlich. »Eh, Baltasar – meinen Sie, ich krieg die Leiche?«
»Kann sein. Wenn niemand Anspruch erhebt. Warum?«
»Es gibt einen alten mandschurischen Bestattungsritus für die Beisetzung mieser Schufte. Den möcht ich einmal im Leben durchführen.«
Kichernd erreichten sie die zertrampelte und aufgewühlte Schneefläche hinter dem Haus. Es bildete sich ein Halbkreis der Erwartung, in den Baltasar kühnen Schritts stapfte, wobei er bis über die Knöchel versank.
»Ahemm, hum, hum. Hmpf. Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, daß es offensichtlich Verborgenes und verhüllt Offenkundiges gibt.«
Jorinde schnalzte mit der Zunge.
»Ich habe die Schneemänner nicht gezählt«, fuhr Matzbach fort, »die Sie hier konstruiert haben. Den Troll vor dem Küchenfenster lassen wir mal beiseite. Aber auch ohne zu zählen habe ich von oben und aus der Küche bemerkt, daß die übrigen Schneeleute in einem offenen Karree standen, wie ein Regiment bei einer klassischen Hinrichtung – der Delinquent in der Mitte. Es war aber kein Delinquent da – nur das Karree. Jetzt jedoch« – er deutete auf die bedrohlichen Gestalten, umgeben von ungenutzten Bruchstücken und Riesenbällen – »haben wir eine andere Lage.« Er streckte den rechten Zeigefinger aus, deutete auf die einzelnen Figuren und deklamierte einen Abzählvers: »Ein Pentagon, ein Pentagramm, ihr vier seid raus und du bist klamm.« Dabei wies er auf den fünften Schneemann, der das zuvor offene Karree verschlossen hatte. »Der Delinquent«, sagte Baltasar. Höhnisch setzte er hinzu: »Melcher, Sie haben hiermit Ihrem absurden, monströsen Mord ein albernes Schlußlämpchen angehängt, das ich beim besten Willen nur blödsinnig finden kann.« Er trat vor und versetzte dem Schneemann eine Ohrfeige.
Der weiße Kopf zerbröckelte, rieselte in Teilen herab, und Schusters Leiche grinste die Gemeinde an, mit halboffenem Mund, aus dem die Enden von Leukoplaststreifen lugten.
»Baltasar, Baltasar!« sagte Hoff.
Als sich die Verblüffung über den Schneemann gelegt hatte, wandte Genenger sich an den Dicken. »Bevor ich endgültig geh, um nen Weg in die Freiheit zu bahnen, wüßt ich gern noch was. Vorhin haben Sie gesagt. Sie hätten aus zwei Gründen von Anfang an gewußt, wer der Mörder ist. Einmal wegen der Körpergröße. Und dann sind Sie vom Pfad der Tugend abgekommen. Was ist der zweite Grund?«
Matzbach winkte Jorinde zu sich und legte ihr eine Hand auf den Arm. »Ah, ja,
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