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Mörder und Marder

Mörder und Marder

Titel: Mörder und Marder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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angezogen im Bett liegt. Das könnte der Kragen von seinem fiesen braunen Hemd sein. Aber die Leiche war nackt, oder?«
    Baltasar schloß die Augen. »Schuster ist besoffen ins Bett gefallen«, sagte er. »Er war zu müde oder zu weit weg, um sich auszuziehen. Vielleicht hat er aber auch immer in seinen Sachen geschlafen. Gerochen hat er jedenfalls so. Er war sogar zu müde, um noch mal aufs Klo zu gehen, und hat seinen Nachttopf mit Nektar gefüllt. Vorher oder hinterher hat er sein Auge rausgenommen und in das Glas gelegt, das er entweder von unten mit raufgenommen oder schon vorher bereitgestellt hatte. Er kriecht also besoffen unter die Decke, angezogen und ohne sein Glasauge. Morgens ist er tot, nackt und hat das Auge im Kopf. Am Körper finden sich, abgesehen von ein wenig Blut im Mundwinkel, keine Spuren.«
    »Gift«, schlug Evita vor.
    Genenger hob die Achseln. »Möglich. Aber Sie wollen auf das Auge hinaus, nicht wahr?«
    »Hmntja. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Betrunkener, der gewöhnlich sein Auge vor dem Schlafengehen herausnimmt, es mitten in der Nacht wieder einsetzt und sich gleichzeitig im kalten Schlafzimmer auszieht.«
    Arthur Melcher machte eine Gleitschlinge in seinen Schal und warf das Lasso über einen Knopf an der nächsten Stuhllehne. »Sie haben da was. Ich kann mich an Frühstücke erinnern, bei denen Schuster uns einäugig beglückt hat.«
    Baltasar schwieg. Er blickte von einem zum anderen und fand überall gespannte Aufmerksamkeit. Vespasian suchte sich den Moment der kondensierten Stille für ein besonders hungriges Jaulen aus.
    »Du kriegst ja gleich was. Aber zuerst das Wichtigere. Wenn man, wie bei Schusters Tod, eine Vielzahl scheinbar unzusammenhängender Einzelheiten hat und dann doch eine Erklärung findet, die alle zusammenfaßt, dann, so sagt Sherlock Holmes, ist diese Erklärung wahrscheinlich die richtige. Ich will Ihnen jetzt meine Erklärung erklären, wenn Sie sich einverstanden erklären. Das könnte zur Aufklärung erklecklich beitragen.«
    Henry stöhnte. »Mach schon. Hör auf mit deinen gräßlichen Wortspielen.«
    »Wie du meinst.« Baltasar hob den Marder hoch, wiegte ihn in den Armen und sprach dazu halblaut und fast monoton, als solle es ein prosaisches Schlaflied werden. »Der Mörder kennt Schusters Gewohnheiten; er ist entschlossen, kalt und ohne Skrupel. Als alles im Haus schläft, macht er sich ans Werk. Er hat es gut auskalkuliert, so daß man, denkt er, ihm nichts wird nachweisen können. Wie ich gestern festgestellt habe, waren an der Dachtraufe vor meinem Fenster Eiszapfen. Das Bild vom schlafenden Schuster zeigt, daß sie auch vor seinem Fenster waren. Wir können also annehmen, sie waren vor allen Fenstern. Der Mörder öffnet die Luke in seinem Gemach, steigt auf die Fensterbank und bricht einen Eiszapfen ab, der ihm geeignet erscheint. Ich nehme an, er ist Rechtshänder, aber das spielt keine Rolle. Sagen wir, in der Linken hält er ein Handtuch. Irgendeines, ein unauffälliges, ohne Monogramm oder solche verräterischen Dinge. Die rechte Hand hat er mit Leukoplast verklebt. Ich habe durchgezählt; bei einer normalen Hand, die weder über riesige Daumen noch gigantische kleine Finger verfügt, braucht man in der mittleren Streifenklasse je drei Streifen, um alle Glieder von Zeigefinger, Mittelfinger und Ringfinger einzeln zu umwickeln. Das macht neun. Je zwei für Daumen und kleinen Finger, macht dreizehn. Achtzehn Streifen lagen im Zimmer – mit fünf weiteren kann man die gesamte Innenhand verkleben.«
    Genenger betrachtete seine riesigen Pranken. »Na ja«, sagte er. »Aber sehr na ja.«
    Matzbach grinste. »Ich habe von normalen Händen gesprochen. Weiter. Er hat also die rechte Hand verklebt. Über die Pflaster streift er nun den Gummihandschuh. Ich weiß nicht, ob schwitzende Hände in einem Gummihandschuh verwertbare Abdrücke hinterlassen; vermutlich weiß der Mörder es auch nicht. Er geht einfach auf Nummer Sicher. Nun sind Eiszapfen aber glatt. Wenn man ganz sicher sein will, daß sie einem nicht aus der Hand rutschen, reicht vielleicht nicht einmal ein Gummihandschuh, der den Zapfen seitlich hält. Der Mörder nimmt also den schwarzen Ballon und stülpt ihn von hinten über den Eiszapfen. Selbst wenn das Eis vorn auf ein Hindernis stößt, kann es nun hinten nicht wegrutschen. Klar? Zwischen Abbrechen des Eiszapfens und Verlassen des Zimmers liegen etwa dreißig Sekunden; mehr ist nicht nötig.«
    Baltasar streichelte den Marder

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