Mörder und Marder
Küche zu besichtigen; preiswert, ohne Eintrittskarte.« Er öffnete die Tür.
»Wohin gehst du?« sagte Henry.
Matzbach deutete mit dem Kinn auf den Marder. »Das Tierchen hat Hunger. Und ich habe keine Lust mehr. Ich werde mich ins Bett legen und ein bißchen Horaz lesen. Nach der Fütterung. Vielleicht bringt mich das auf das richtige Motiv. Angenehmes Nächtle allerseits.«
DRITTER TEIL
Lange nach Mitternacht, als im Haus alles still war, hatte Baltasar die letzten Vorbereitungen beendet. Geräuschlos verließ er sein Zimmer. Er war vollständig bekleidet, schlich jedoch auf Socken und trug die Schuhe in der Hand. Er bog in den größeren Korridor, der von einer Birne matt erhellt wurde, ging an der Treppe vorbei, lauschte an den Türen der drei kleineren Zimmer neben dem Bad, auf der rechten Seite, dann an denen der drei größeren auf der Seite der Treppe. Schließlich kratzte er kaum hörbar an der Tür des ersten Zimmers auf der linken Seite und trat ein. Die Tür quietschte nicht.
Im Zimmer war es warm. Das Öfchen bullerte leise, und die Nachttischlampe mit goldgelbem Schirm verbreitete behagliches Dämmerlicht. Jorinde legte das Buch beiseite und sah Baltasar entgegen. »Ich dachte schon, du kommst nicht mehr.« Die Haut der nackten Arme und Schultern schimmerte sahnig zwischen dem Grau der Wolldecken und dem stumpfen Weiß der Laken, und Mahagonihaar bedeckte das Kopfkissen.
Baltasar setzte sich auf die Bettkante, nahm Jorindes Hand und wies mit dem Kinn auf ihr Haar. »Wie eine
muleta
für einen düsteren Stier«, sagte er. Er küßte die Fingerspitzen und die Innenfläche der Hand.
»Von mir aus auch farbenblind – Hauptsache, er reagiert«, sagte Jorinde. Die Augen strahlten.
»Ich habe noch ein paar Dinge vorbereitet«, sagte Baltasar. »Das lange Räumen entschuldigt mein Versäumen.« Er warf einen Blick auf die Platte des Nachttischs, auf der ein großes Blatt Papier lag.
Jorinde folgte dem Blick. »Das kennst du ja wohl, oder? Du Privatdozent gegen Okkultismus.«
»Wofür hältst du mich?« Er nahm das Blatt in die Hand und überflog die Zahlenreihen und die Namen. »Hier oben«, sagte er, »das ist wohl nur eine Gedächtnisstütze.«
Jorinde nickte. »So was hat man im Kopf, aber sicher ist sicher.«
Auf dem Blatt standen die neun Namen der Leute, die sich im Haus aufhielten, einschließlich des Namens Gaspard Schuster. Darüber fand sich eine Zusammenstellung, die jedem Buchstaben einen Zahlwert zwischen eins und acht zuordnete:
»Das sogenannte Hebräische System«, murmelte Baltasar. »Entstanden aus dem hebräischen Alphabet mit Aushilfen von den Griechen.« Er grinste. »Ich habe, in meiner Dozentenzeit in der Bretagne, den meist französischen Eleven das System erklärt, indem ich sie aufgefordert habe, sich vorzustellen, sie litten am Namen ›Ida Jabs‹. Für Franzosen eine furchtbare Vorstellung.«
Jorinde lächelte flüchtig und addierte die Zahlwerte der Buchstaben des genannten Namens: I(1) D(4) A(1) J(1) A(1) B(2) S(3). »Dreizehn«, sagte sie. »Quersumme – die einstellige, relevante Zahl ist also vier.«
»Wie bei Jorinde Seyß, wie ich da sehe. Auch die Quersumme von vierzig ist vier. Es ist also gleichgültig, ob man Ida Jabs oder Jorinde Seyß heißt. Oder Susanne Steul – neunundvierzig zu dreizehn zu vier. Alles dasselbe.«
Jorinde lächelte diesmal länger und beinahe breit. »Vier ist für den Zahlenmystiker keine gute Nummer.«
»Ich weiß. Nach Meinung der Neo-Pythagoräer bedeutet es, daß jemand unkreativ, langweilig und unglücklich ist, hart arbeitet, aber keinen Erfolg hat.«
Jorinde seufzte. »Es stimmt eben nicht immer; man muß von den Wahren Namen ausgehen. Evita heißt Eva Maria, aber alle nennen sie Evita, und sie denkt wohl auch unter diesem Namen an sich. Ich habe keine Lust gehabt, nun auch bei Susanne die Suse oder Susi durchzuprobieren. Und was mich betrifft – als Magierin kenne ich natürlich meinen Geheimen, Wahren Namen, und der ergibt fünf.«
Matzbach sah sie an, die cremige Haut, die sprühenden Augen, den sinnlichen Mund. »Klar doch. Fünfer sind beweglich, abenteuerlustig, haben Spaß am Bizarren. Und vor allem sind sie der läßlichen Wollust keinesfalls abhold. Das beruhigt mich.«
Sie streckte ihm die Zunge heraus. »Was? Daß ich nicht abhold bin? Brauchst du Zahlenmystik, um das zu sehen?«
Er streichelte ihre Wange. »Was mich beruhigt, ist, daß du keine sieben oder neun hast. Du bist also nicht gänzlich dem
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