Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
diplomatisch vorzugehen und nichts zu überstürzen.
Und wie ein Glas, das einen Sprung hat, aber noch nicht zerbricht, blieb die brüchig gewordene Beziehung zwischen Richter und Käthe bestehen. Sie erpresste ihn, weil sie ihn liebte, er liebte sie nicht mehr, weil er erpressbar war und sie fürchten musste.
Im fünften Jahr ihrer schicksalhaften Liaison - es war Anfang 1928 - verließ Dr. Richter Bonn, um sich nach einer vorübergehenden Tätigkeit auf dem Lande in Bingen eine Praxis als Hals-, Nasen- und Ohrenarzt einzurichten. Mindestens zweimal in der Woche fuhr er nach Bonn, um Käthe zu besuchen. Manchmal kam Käthe auch nach Bingen und half sogar in der Sprechstunde aus.
Im Sommer klagte sie, ihr Unterleibsleiden habe sich verschlimmert, obwohl Richter sie regelmäßig untersucht und behandelt hatte. Nun aber war die Entzündung weiter fortgeschritten. Käthe erhoffte sich nur durch eine Operation Besserung.
Richter konnte ihr diesen Wunsch nicht abschlagen, schließlich hatte er die Erkrankung verschuldet. Er erklärte sich bereit, die Kosten von Operation und Klinikaufenthalt zu übernehmen.
Käthe ließ sich in Düsseldorf operieren und die Rechnung an Dr. Richter schicken, der sie wie versprochen bezahlte.
Nach der Operation fühlte sich Käthe besser. Sie sah nun wirklich die Zeit gekommen, um ihren Heiratsplan aufs rechte Gleis zu bringen. Denn inzwischen hatte sie erfahren, dass Dr. Richter längst Affären mit andern Frauen begonnen hatte. Jetzt musste sie handeln, ehe er ihr ganz entglitt.
Als sie ihn das nächste Mal in Bingen besuchte, drohte sie ihm, ihn wegen Meineids anzuzeigen, wenn er sie nicht endlich heirate. Danach würde sie sich in seinem Haus umbringen.
Richter geriet in Panik. Soweit es seine Situation erlaubte, vertraute er sich einem Freund an. Der riet ihm, sich schleunigst von dieser Frau zu trennen. Wenn sie in seinem Haus Selbstmord beginge, schade das seinem Ruf und seiner Praxis.
Aber mit Käthe gab es keine gütliche Trennung. Sicherlich war ihre Selbstmorddrohung nur erpresserisch gemeint. Aber dass ihn diese unberechenbare Frau nie loslassen, dass sie ständig seine ganze Existenz gefährden würde, ängstigte Richter von Tag zu Tag mehr. Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer wurde er: Er würde nur dann wieder ruhig schlafen können, wenn er Käthe in den ewigen Schlaf schickte.
Das war im November.
Was nun geschehen sollte, sollte bald geschehen.
Richter begann, Käthes Ermordung zu planen.
Als erstes schrieb er ihr, er werde bald nach Bonn kommen, um mit ihr über die Heirat zu reden. Mit diesem Versprechen hoffte er, einige Tage für die Vorbereitung der Tat zu gewinnen.
Richter war überzeugt, einen perfekten Mord vollbringen zu können. Naturgemäß dachte er als Arzt an einen Giftmord. Das Gift musste schwer oder gar nicht nachweisbar sein. Metallische Gifte wie Quecksilber oder ihre Verbindungen wie Arsen Schloss er von vornherein aus, denn die ließen sich leicht erkennen. Er dachte an ein organisches Gift, das der Körper leicht resorbierte und rasch wieder ausschied. In Poulssons Lehrbuch der Pharmakologie orientierte er sich über die verschiedenen organischen Substanzen, die er sich unverdächtig beschaffen konnte. Er las über Blausäure und Strychnin, über Digitalis, Alropin und Nikotin und entschied sich schließlich für Strophantin. Viele Strophantinarten, so las er, seien seit undenklichen Zeiten in Afrika und auf dem indisch-malayischen Archipel als Pfeilgifte verwendet worden. Entsprechend verdünnt, dienen sie als Herzmittel. Heutzutage lieferten die Apotheken drei Arten von Strophantin, darunter das kristallinische Strophantin gratus, in Pulverform auch GStrophantin genannt. Es sei auch als Ampulle erhältlich, denn, so erfuhr Richter in weiteren Schriften, die Strophantine würden ungleichmäßig im Körper resorbiert und zerstört, so dass sie nicht oral verwendet werden sollten. Die Magensäure würde sie rasch zersetzen und dadurch unwirksam machen. Deshalb würde das Medikament vor allem durch intravenöse Injektion verabreicht. Bei Herzschwäche bewirke Strophantin sehr rasch Besserung. Bei einer Überdosis Strophantin komme es zu innerer Unruhe, starker Aufregung, zu Schweißausbrüchen, beschleunigter Atmung und Herzfrequenz. Werde die zulässige Dosis bedeutend überschritten, trete plötzlich, manchmal auch um Stunden verzögert, Herztod ein. Diese Information fand Richter in L. Lewins vor wenigen Jahren
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