Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat
trennen. Hatte er ein echtes Interesse am Tode Oberreuters, brachte es ihm irgendeinen Nutzen? Wohl kaum. Die Beziehung zu Emilie hätte wie bisher weiterbestehen können, wenn Bröcher es gewollt hätte. Die Widersprüche seiner Tat lassen sich nicht lösen, es sei denn, er habe, wie ein Reporter damals schrieb, »unter dem Zwingtrieb seltsamer Leidenschaft« gehandelt, die seine Vernunft verwirrte.
Die Verkündung des Todesurteils, so wird berichtet, wurde mit »Ausrufen des Entsetzens« aufgenommen: »Durch das anwesende Publikum ging eine sehr spürbare Bewegung des Bedauerns und Mitleids.«
Später wurde Bröcher zu lebenslänglichem Zuchthaus begnadigt.
Pfeilgift
Sie schoss »Amors Pfeil« auf ihn ab und traf ihn mitten ins Herz. Er verliebte sich in sie.
Als sie ihm lästig wurde, schoss auch er auf sie. Aber sein Pfeil war mit afrikanischem Pfeilgift getränkt.
Damit wäre der Mordfall Dr. Richter auf ein Bild gebracht.
Doch die Realität dieses Verbrechens bedarf solcher allegorischer Überhöhung nicht. Sie ist selbst schauerlich genug.
Dabei fing sie wie so manches Melodram ganz romantisch an.
Sie begann, als Dr. Peter Richter an einem Sommertag 1923 das Juweliergeschäft Mertens in Bonn betrat. Er war mit Anzug, Weste, Schlips und Hut korrekt gekleidet. Aber seiner gedrungenen Gestalt haftete etwas wie Erdenschwere an. Sein rosig-rundes Gesicht verlieh ihm ein kindliches Aussehen. Die vollen, zu einem leichten Lächeln gewölbten Lippen verrieten Hang zur Heiterkeit.
Käthe Mertens, die Frau des Juweliers, blickte dem Eintretenden interessiert entgegen. Es war der einzige Kunde, und Kundschaft war in diesen Krisenjahren rar.
Richter trat an den Ladentisch und sagte, er wolle einen Ring kaufen.
Ob es für eine Dame sei, fragte Frau Mertens. Und fügte neckisch hinzu: für die Herzensdame sicherlich?
Richter schüttelte den Kopf. Für sich selber, erklärte er, einen Siegelring. Und glaubte hinzufügen zu müssen: als Belohnung. Er sei heute Doktor der Medizin geworden und wolle sich mit dem Ring einen alten Wunsch erfüllen. Und im gleichen Augenblick fragte sich Richter, warum erzählst du ihr das, es klingt angeberisch, großspurig.
Frau Mertens gratulierte dem Herrn Doktor und bat um seine Hand, um Maß zu nehmen. So also, bemerkte sie währenddem, sähen die Hände eines Arztes aus. Schöne Hände! Richter wusste, dass sie log und ihm schmeicheln wollte. Er hatte dicke fleischige Finger.
Chirurgenhände? fragte Frau Mertens und legte eine samtbelegte Palette Ringe vor ihm aus.
Nein, nein, wehrte er ab, er wolle sich als Hals-, Nasen- und Ohrenarzt spezialisieren, hier an der Bonner Universitätsklinik. Und fragte sich erneut, was geht das diese Frau an? Und musste sich eingestehen, dass ihn ihre kokette Liebenswürdigkeit anzog und ihm Persönliches zu entlocken verstand. Während sie ihm verschiedene Ringe vorlegte und diesen und jenen Vorzug des Schmucks anpries, betrachtete er sie und dachte, eigentlich gehörte diese Frau nicht hinter diesen Ladentisch. Mit ihrer modernen Ponyfrisur, dem verschleierten Blick, den stark geschminkten Lippen gleicht sie eher einer Filmdiva. Er hatte bisher einige flüchtige Erfahrungen mit Mädchen, aber er spürte, undeutlich noch, dass diese Frau etwas - ja, genau, etwas Verzehrendes an sich hatte, das ihn faszinierte und zugleich beunruhigte. Er hatte plötzlich den Wunsch, sie wiederzusehen, und war zu unbeholfen, es ihr zu sagen.
Er entschied sich dann, verärgert über seinen Mangel an Mut, für irgendeinen Ring. Als er bezahlte, sagte die Frau, es sei eigentlich schade, dass sich der Herr auf Hals, Nasen und Ohren werfe.
Er blickte sie verständnislos an.
Warum nicht Kinderarzt? fragte sie, dann hätte sie gleich einen Arzt für ihre kleine Tochter.
In diesem Augenblick begriff Richter: Das war ein Angebot. Und nun handelte er entschlossen. So weit reiche es schon, scherzte er, um die Mandelentzündung der Tochter oder eine Grippe zu behandeln. Sobald er eine neue Wohnung gefunden habe, werde er Frau - ?
Er blickte sie fragend an.
Frau Mertens, sagte sie, Käthe Mertens.
- werde er also Frau Mertens seine Adresse geben.
Was Richter für die Garantie eines Wiedersehens hielt, war für Käthe Mertens zu unverbindlich. Ob der Herr Doktor denn schon eine Wohnung in Aussicht habe? Sie könnte ihm preisgünstig etwas Passendes vorschlagen. Ihre Mutter vermiete Zimmer an seriöse alleinstehende Herren. Herr Doktor sei doch noch
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