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Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Titel: Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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wissenschaftliche Vorsicht und Verantwortung zu gewährleisten.
    Nachdem die Staatsanwaltschaft Anklage gegen »Unbekannt« erhoben hatte, folgten weitere Todesfälle. Bereits Mitte Juni 1930 wurde der Tod von 39 Kindern gemeldet, Mitte Juli waren es bereits 57.
    Die Voruntersuchung richtete sich gegen vier Personen: gegen Dr. Altstaedt, Prof. Deycke, Prof. Klotz als Direktor der Kinderklinik und gegen die Krankenschwester Anna Schütze, die im Auftrag Deyckes maßgeblich an der Herstellung des Impfstoffs beteiligt gewesen war. Die Voruntersuchung verstärkte den Verdacht, dass nicht das Calmette-Verfahren, sondern der in Lübeck produzierte Impfstoff schuld am Tode der Kinder war.
    Am 12. Oktober begann der »Calmette-Prozess«. Eigentlich hätte er »Deycke-Prozess« heißen müssen. Er zog sich über fast vier Monate hin und gehört zu den großen Sensationsprozessen dieses Jahrhunderts. Er war deshalb schwierig, weil die Juristen über einen Tatbestand entscheiden mussten, den nur medizinische Experten aufklären konnten.
    Immer wieder drohte aus dem Gerichtsprozess ein Mediziner-Kongress zu werden, klagte einmal der Vorsitzende.
    Kennzeichnend für den Prozess war das leidenschaftliche Engagement der Parteien. Der Vorsitzende des Gerichts, Amtsgerichtsrat Wibel, sympathisierte mit den Angeklagten. Der Staatsanwalt lavierte. Die Nebenkläger, die Anwälte, die die Interessen der Eltern der toten Kinder vertraten, ergriffen so kompromisslos Partei gegen die Angeklagten, dass das Gericht gegen einige von ihnen disziplinarische Strafen verhängte.
    Die Anklage warf Dr. Altstaedt vor, er habe vor der Herstellung des Impfstoffs keine Expertengutachten angefordert. Altstaedt verwies auf das Gutachten der Hygienesektion des Völkerbundes. Außerdem habe er im Unterschied zu einem Kreisarzt in Preußen keine Weisungsbefugnis und dürfe die Herstellung von Impfstoffen in staatlichen Anstalten nicht kontrollieren. Auf den Vorwurf, dass er den in Lübeck hergestellten Impfstoff nicht in Tierversuchen erproben ließ, entgegnete er, das sei Aufgabe des Herstellers, also von Prof. Deycke gewesen. Offensichtlich suchte sich Altstaedt schon jetzt von Deycke zu distanzieren.
    Die Vernehmung von Deycke verlief unter ungünstigen Umständen. Mehrmals brach der alte Mann unter dem Druck der Anschuldigungen zusammen, so dass die Verhandlung ausgesetzt werden musste. Nach solchen Zusammenbrüchen versuchte er dann um so erregter, sich zu rechtfertigen. Unangenehmen Fragen der Nebenkläger wich er durch Schweigen aus.
    Deyckes Vernehmung erbrachte im wesentlichen folgende Tatsachen: Deycke arbeitete seit Jahren an einem eigenen Verfahren für einen Tuberkulose-Impfstoff. Im Unterschied zu Calmette, der abgeschwächte Erreger der Rindertuberkulose benutzte, verwendete Deycke für sein Verfahren Erreger der Tuberkulose beim Menschen. Deshalb befanden sich in Deyckes Labor virulente Tb-Kulturen. Deycke hatte sie aus einem Kieler Institut bezogen. Im Prozess wurden sie deshalb »Kieler Stamm« genannt.
    Deycke hatte eigenmächtig Calmettes Züchtungsvorschriften abgeändert und Nährböden verwendet, die Calmette für ungeeignet gehalten hatte.
    Deycke musste auch zugeben, dass er durch seine Überlastung als Klinikchef die Herstellung des Impfstoffs nicht regelmäßig kontrolliert hatte. Er vertraute der Krankenschwester Schütze Arbeitsgänge an, die nur er selbst hätte ausführen dürfen. Er wusste nicht, dass die Schwester auf eigene Faust Bakterienkulturen züchtete.
    Trotz all dieser Eingeständnisse wollte Deycke nicht zugeben, der entscheidende Fehler könnte in seinem Labor unterlaufen sein. Immer wieder berief er sich auf eine »höhere Macht«, durch die das BCG virulent geworden sei.
    Im Mittelpunkt der Beweisaufnahme stand die Frage, ob Deyckes Labor geeignet gewesen sei, den Calmette-Impfstoff herzustellen.
    Der Sachverständige Prof. W. Kolle aus Frankfurt a. M. hatte die dafür notwendigen Bedingungen genannt, die das Gericht nun in einem Lokaltermin überprüfen wollte.
    Kolle hatte u. a. gefordert, eine nicht virulente Bakterienkultur wie das BCG unter Verschluss getrennt von virulenten Kulturen aufzubewahren. Regelmäßige Tierversuche seien ebenso unerlässlich wie Aufzeichnungen über die einzelnen Züchtungen und die genaue Signierung jeder Kultur.
    Beim Lokaltermin sollte Deycke einige Arbeitsgänge vorführen. Er war nervös, seine Hände zitterten, ein Herzanfall zwang ihn, die Demonstration abzubrechen.
    Als die

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