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Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat

Titel: Mörderische Ärzte: der hippokratische Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Pfeiffer
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Sachverständigen den Laborbetrieb und die technischen Einrichtungen besichtigten, waren sie entsetzt. Sie entdeckten im Korridor eine virulente Bakterienkultur in einem Glaskolben, der nicht einmal beschriftet war. Eine von Deycke als nicht virulent bezeichnete Impfemulsion erwies sich als hochvirulent. Sie stießen auf Bakterienkulturen, die Schwester Schütze nach eigenem Gutdünken hergestellt hatte, damit sie während ihres Urlaubs verwendet werden konnten. Die schlimmste Entdeckung machten die Sachverständigen im Brutschrank, in dem die Kulturen aufbewahrt wurden. Im obersten Fach befanden sich unverschlossen die CalmetteKulturen, in einem Fach darunter offen die hochvirulenten Kulturen des »Kieler Stammes«.
    Nach diesen Entdeckungen sah die Öffentlichkeit mit Spannung dem dritten Prozessabschnitt entgegen, dem Auftritt der medizinischen Gutachter.
    Die Verteidiger der Angeklagten suchten natürlich die Kompetenz der Gutachter in Zweifel zu ziehen. Charakteristisch dafür die Worte des Rechtsanwalts Dr. Hoffmann: »Dieser Prozess ist ein Prozess der Fahrlässigkeit, und in diesem Rahmen sind Überlegungen geboten. Konnte dieser Täter, unter den Umständen, unter denen er handelte, anders handeln? Hat er die gebotene Vorsicht verletzt oder nicht? Was ist gebotene Vorsicht? Ich kann mich des Verdachts nicht erwehren, dass vor allem die Sachverständigen sich diese Frage nicht gestellt haben. Bei jedem Prozess, in dem es sich um Fahrlässigkeitsfragen handelt, besteht die Gefahr, dass der, der über die Fahrlässigkeit zu entscheiden hat, den späteren Ablauf der Dinge berücksichtigt und eine Besserwisserei sich breit macht. Diese Gefahr ist hier gegeben ... Keiner der vernommenen Sachverständigen hat jemals BCGImpfstoff hergestellt...«
    Die Sachverständigen waren sich dieser Problematik durchaus bewusst. Selbst Ärzte, standen sie vor der tragischen Tatsache, dass Ärzte, die dem Leben dienen sollten, fahrlässig Leben vernichtet hatten.
    Diese Situation drückte Geheimrat Prof. Hahn am deutlichsten aus: »Jeder von uns Sachverständigen hat wohl hier wochenlang mit sich selbst gerungen, ehe er zu seinen endgültigen Schlüssen gekommen ist. Jeder ist in einen Konflikt zwischen Pflicht und Neigung geraten, aber wir sind nun einmal eidlich verpflichtet, unserer innersten wissenschaftlichen Überzeugung Ausdruck zu geben.«
    Und der schärfste Kritiker der Angeklagten, Prof. Kolle, sprach zugleich von seinem tiefsten Mitempfinden für ihre seelischen Leiden.
    Sicherlich hätten die Sachverständigen am liebsten aus Neigung zu den angeklagten Kollegen deren Fahrlässigkeit entschuldigt. Aber aus hippokratischer Pflicht mussten sie sie hart und entschieden verurteilen.
    Über Dr. Altstaedts Schuld gingen die Ansichten der Sachverständigen weit auseinander. Man konnte sich nicht einigen, ob die Einführung des Calmette-Verfahrens schuldhaft war oder nicht, kritisierte jedoch übereinstimmend die fehlende Kontrolle durch Altstaedt. Ein anderer Gutachter sah in Altstaedts Handlung sogar einen Zug nationalistischen Ehrgeizes: »Lübeck in Deutschland voran!«
    Eine der wichtigsten Fragen des Gerichts an die Sachverständigen war, ob die abgeschwächten BCG-Kulturen wieder virulent geworden sein könnten. Einige Gutachter hielten das im Hinblick auf die internationalen Erfahrungen mit BCG für unmöglich, andere wollten diese Gefahr nicht ganz ausschließen, aber dann nur durch Verschulden von Prof. Deycke.
    So wurde immer deutlicher, dass es eigentlich gar nicht mehr um den »Calmette-Impfstoff« ging, sondern um einen »Deycke-Impfstoff«. Das Gericht musste also fragen, worin sich das originale BCG vom Deycke-Impfstoff unterschied.
    Die Sachverständigen gaben darauf eine eindeutige Antwort. Die Beweisaufnahme hatte ergeben, dass im Brutschrank Calmette-Stamm und hochvirulenter »Kieler Stamm« gemeinsam unverschlossen aufbewahrt worden waren. Die Sachverständigen hatten die krank machenden Tuberkelbazillen, die aus den in Lübeck zur Impfung benutzten vermeintlichen BCG-Kulturen gewonnen worden waren, mit den Kulturen verglichen, die aus den von den erkrankten Säuglingen gewonnenen Kulturen und dem »Kieler Stamm« gezüchtet worden waren. Alle diese Kulturen wiesen in ihrem Verhalten große Ähnlichkeit miteinander auf.
    Damit wurden Deyckes »höhere Mächte« recht unsanft auf den Erdboden zurückgeholt. Es gab nur eine Erklärung: Im Brutschrank waren virulente Bakterien des »Kieler Stammes« in die

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