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Moerderische Fracht

Titel: Moerderische Fracht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lukas Erler
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eine Krankheit, die durch Geschlechtsverkehr übertragen wird.
    »Verpiss dich!«, sagte er. »Hier ist besetzt!«
    Ich machte die Tür vorsichtig wieder zu und schaute mir die nächsten zwei Abteile an. Sie waren mit jeweils vier älteren Leuten besetzt, die mit Kreuzworträtseln und Handarbeiten beschäftigt waren. Sie ignorierten mich konsequent, wahrscheinlich um jede mögliche Frage nach einem eventuell noch freien Sitzplatz gleich zu unterbinden. Offenbar hatte niemand von der ganzen Sache auch nur das Geringste mitbekommen. Ich ging zurück zu unserem Abteil.
    »Er ist weg«, sagte ich, »und ich glaube, er kommt nicht zurück.«
    Mein Puls raste und mir war speiübel, aber Elena ging es schlechter. Anna hatte sich neben sie gesetzt und ihren Arm um sie gelegt. Es war eine tröstende Geste, aber gegen das Zittern half sie nichts. Elena stand ganz offensichtlich unter Schock. Ich zog meine Jacke aus und legte sie um ihre Schultern. Dann setzte ich mich ihr gegenüber und nahm ihre Hände in meine.
    »Schau mich an! Du musst mich anschauen! Bitte!«
    Elenas Blick, der zunächst ziellos im Abteil herumgeirrt war, fixierte einen imaginären Punkt irgendwo links hinter meinem Kopf und pendelte sich schließlich langsam auf mich ein.
    »Es ist vorbei! Schau mich an, verdammt! Er ist weg, und wir sind am Leben! Wir haben seine Waffe, und er ist verletzt. Er kommt nicht zurück, hörst du? Er kommt nicht zurück!«
    Ich rieb ihre eiskalten Hände, redete ihr gut zu und wartete geduldig, bis ihre Angst nachließ. Anna war ein wenig abgerückt, hatte die Pistole vom Boden aufgehoben, sie behutsam neben sich auf die Bank gelegt und mit ihrem Pullover zugedeckt. Misstrauisch beobachtete sie die Abteiltür. Elena zog ihre Hände zurück und räusperte sich mühsam. Ich reichte ihr eine Flasche Mineralwasser. Nach ein paar gierigen Zügen war ihre Stimme wieder da. Und der Schmerz in ihrem Brustkorb.
    »Meine Rippen«, stöhnte sie, »es tut furchtbar weh.« Ihre Stimme klang wie Sandpapier. Als ich ihr T-Shirt auf der linken Seite vorsichtig hochschob, um den Verband anzusehen, fing sie an zu wimmern, und einen Augenblick dachte ich, sie würde ohnmächtig werden. Ich hatte mich auf einen großen roten Fleck auf dem weißen Verband vorbereitet, aber die Stichwunde war nicht wieder aufgeplatzt.
    »Es hat nicht geblutet«, sagte ich, »die Schmerzen kommen von der Prellung. Trink noch etwas Wasser und versuche flach zu atmen.«
    Anna, die fortwährend die Abteiltür im Auge behalten hatte, setzte sich nun neben Elena, massierte vorsichtig ihren Nacken, sprach mit ihr und schien eine deutlich beruhigendere Wirkung auf sie zu haben als ich.
    »Hast du den Mann erkannt?«, fragte sie schließlich behutsam.
    »Es war der Mann von der S-Bahn-Station. Und er war auch in Ventspils. Ich glaube, er hat Chasimikow umgebracht, und er hat versucht, mich zu töten. Wegen dem, was Chasimikow mir erzählt hat. Er muss uns zusammen gesehen haben.«
    »Du meinst wirklich, die haben in Tschetschenien herausgefunden, dass Chasimikow ein Verräter ist, und haben ihm einen Killer hinterhergeschickt? Der dann den Nerv hat, hier in Deutschland am helllichten Tag in einem Zug einen Mord zu begehen?«
    »Genau das meine ich. Er ist eine Art Selbstmordattentäter. Ein Mann, der keinen Gedanken an einen Fluchtweg verschwendet, weil er bereit ist, sein Leben für den Plan zu opfern. Den kannst du überall hinschicken. Und glaub mir: Deutschland kommt ihm nicht gefährlich vor.«
    Mit spitzen Fingern hob sie Annas Pullover an, warf einen Blick auf die Pistole und ließ mit einem zischenden Geräusch den Atem durch die Zähne entweichen.
    »Pistolet besschumnyj, die Lautlose. Das ist eine russische Waffe, eine weiterentwickelte Makarow mit einem Zweikammer-Schalldämpfer. Eine Pistole für Spezialeinheiten und Geheimdienstler. Der FSB benutzte sie. Ihr müsst sie sichern, wenn wir sie mitnehmen wollen.«
    Vorsichtig griff sie nach der Pistole, hielt den Lauf auf den Boden gerichtet und legte den Sicherungsbügel um. Anna war völlig perplex und warf mir einen entsprechenden Blick zu, den Elena auffing.
    »Mein Vater ist ein Waffennarr«, erklärte sie müde, »ich bin mit den Dingern groß geworden. Die Waffenkataloge in unserem Haus fand ich als Kind immer erheblich interessanter als die russischen Bilderbücher. Mein Vater hat Jewgeni und mich oft auf den Schießstand mitgenommen. Das war das Einzige, was er mit uns unternommen hat. Wir können beide

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