Moerderische Fracht
gemacht, bei denen die Polizei höchst ungelegen kam?«
»Nichts Illegales«, knurrte Meiners.
»Ist ja gut!«, seufzte Anna, sichtlich um Geduld bemüht. »So kriminell ist das Nicht-Anzeigen einer Straftat nun auch wieder nicht. Hör einfach noch einen Augenblick zu: Wenn wir die Polizei eingeschaltet hätten, hätten wir dableiben müssen, bis sie kommen. In Hannover. Jetzt stellt euch die Situation vor: Zwei Frauen und ein Mann mit einer russischen Armeepistole, die eine wilde Geschichte erzählen. Ein falscher Schaffner hat auf sie geschossen. Am helllichten Tag in einem ICE. Nur, dass niemand sonst im Zug etwas davon mitbekommen hat. Immerhin gibt es die russische Pistole, ein Loch in der Armlehne und vielleicht das Projektil, wenn es nicht die Wand des Waggons durchschlagen hat, was ich vermute. Allerdings Pech, dass auf der Waffe Elenas und meine Fingerabdrücke sind und natürlich noch etliche andere. Und besonders dumm, dass eine der Frauen Russin, wenn auch lettische Staatsbürgerin ist. Falls man unsere Hände auf Schmauchspuren untersucht hätte, wäre klar geworden, dass wir die Waffe nicht abgefeuert haben, aber wie lange hätte das gedauert? Wir hätten es mit der Bundespolizei zu tun gehabt, die, glaube ich, für die Bahnhöfe zuständig ist. Denkt ihr wirklich, dass die allein auf unseren Anruf hin das gesamte Areal abgeriegelt hätten, um unseren Täter am Verlassen des Bahnhofsgeländes zu hindern? Nein, der Typ hat sich auf dem Klo umgezogen, ist in Hannover ganz unauffällig ausgestiegen und in der Menge untergetaucht. Ich glaube nicht, dass die Anwesenheit der Polizei daran etwas geändert hätte. Oder er ist ganz cool sitzen geblieben und bis Hamburg weitergefahren. Glaubt mir, wenn wir die Bullen eingeschaltet hätten, säßen wir jetzt nicht hier, sondern auf einem Polizeirevier, und das wahrscheinlich die halbe Nacht. Übrigens, ich hätte gern noch einen Grappa!«
»Prima Idee«, sagte Elena.
»Was ist mit dem Schaffner, dem er die Jacke weggenommen hat?«, fragte Meiners.
»Ich habe telefonisch die Polizei informiert, dass im ICE nach Hamburg ein Zugbegleiter angegriffen wurde. Mehr konnten wir nicht tun.«
»Gut«, entschied Meiners. Er schien nicht restlos überzeugt, gab sich aber geschlagen. »Lasst uns jetzt ins Hotel fahren. Ich muss unbedingt ein bisschen schlafen. Morgen früh um zehn treffen wir ein paar Freunde von mir, die unter anderem für Greenpeace arbeiten. Ich habe ihnen gestern die Fakten von Chasimikows Zettel telefonisch durchgegeben und sie gebeten, darüber nachzudenken. Sie sind sehr clever. Je nachdem, wie sie die Sache einschätzen, entscheiden wir, an welche Behörden wir uns wenden. Was ist mit der russischen Pistole passiert?«
»Liegt im Kofferraum deines Autos.«
Meiners zuckte zusammen und starrte Anna wütend an.
»Verdammt, ich will mit Waffen nichts zu tun haben. Sieh zu, dass du das Ding loswirst!«
Anna sah mich an, ließ beide Hände seitlich herabsinken und machte die Geste des Rollstuhlfahrens.
»Nein«, sagte sie, »diesmal nicht.«
Zehn
9. September
J
ette Paulsen, Robert Wenger, Nils Vohrmann«, sagte Meiners, »die Nachnamen könnt ihr wieder vergessen. Jette arbeitet als Ingenieurin für das Fischereimuseum in Esbjerg, macht aber zurzeit ein Sabbatical, Robert ist Biologe und Nils in der Ausbildung zum See- und Hafenlotsen.«
Jette Paulsen war eine gut aussehende etwa fünfundvierzigjährige Frau mit kurzen dunklen Locken, spöttischem Lächeln und einem reizenden dänischen Akzent. Wenger und Vohrmann waren höchstens Ende zwanzig, groß, blond und braun gebrannt und sahen aus wie zwei gut gelaunte Langzeitstudenten. Nachdem Meiners auch Anna, Elena und mich vorgestellt hatte, setzten wir uns an einen Gartentisch unter schattigen Bäumen und bestaunten den grandiosen Ausblick.
Wir befanden uns auf der Lindenterrasse des Hotels Jacob an der Elbchaussee und hatten im milchigen Spätsommerlicht die berühmte, fantastisch freie Sicht auf die Elbe, die vorbeifahrenden Schiffe und die Uferlandschaft. Trotz der frühen Stunde war schon reichlich Betrieb.
»Oh Mann«, wunderte sich Wenger, »ich habe fast mein ganzes Leben in Hamburg verbracht und bin noch nie hier gewesen. Hast du den Tisch hier reservieren müssen?«
»Beziehungen«, antwortete Meiners. Er sah müde und verkatert aus und schien absolut keine Lust auf ein bisschen einleitenden Smalltalk zu haben. Stattdessen holte er aus seiner Aktentasche einen altmodischen
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