Moerderische Fracht
verhandelt und festgelegt, und die Kapitäne setzen alles daran, sie auf keinen Fall zu überschreiten. Liegedauer, Hafengebühren, der Einsatz von Lotsen, die Vorbereitungen zum Löschen der Ladung, das Personal, die Kräne, alles ist vertraglich geregelt und genau geplant, und jede Stunde Überschreitung der ETA kostet Unsummen. Die Schiffe fahren unter ungeheurem Zeitdruck, und das erhöht natürlich die Bedenkenlosigkeit der Kapitäne und damit die Unfallrisiken. Frau Bakarova hat recht: Der Weg von der Ostsee in die Nordsee führt nun einmal durch die Kadetrinne, und keines der russischen Tankschiffe wird seinen Kurs ändern, ich glaube, selbst dann nicht, wenn der Befehl aus Moskau käme.«
»Wollen Sie damit sagen, es gibt überhaupt keine Möglichkeit, eine eventuelle Katastrophe zu verhindern?«, fragte Anna ungläubig.
»Wenn ich eine wüsste, würde ich sie Ihnen sagen.«
Elena räusperte sich und schien sich der Tragweite dessen, was sie vorschlug, bewusst zu sein: »Und wenn die deutsche und die dänische Marine die Fahrrinne für vierundzwanzig Stunden versperren würden?«
Monk schien einen Augenblick sprachlos zu sein und runzelte entgeistert die Stirn.
»Sie haben vielleicht Nerven. Das sollten Sie als Politologin besser wissen. Denken Sie mal an die Suezkrise und andere ähnliche Fälle. Es würde hier jetzt nicht gleich so weit kommen, aber die Blockade einer internationalen Wasserstraße ist ein Kriegsgrund.«
Achtzehn
E
s g ibt etwa zwanzig Millionen Muslime in Russland«, sagte Anatol Grygoriew und lehnte sich zurück, »wussten Sie das? Alles anständige russische Bürger. Bis auf ein paar vereinzelte Spinner, die sich dem Terrorismus und Separatismus verschrieben haben. Und mit denen werden wir schon fertig! Ich glaube nicht an Tschetschenen als maritime Terroristen, aber ich finde es interessant, dass Ihnen dieser Gedanke einleuchtet. Waren diese Wahnsinnigen in Ihren Augen nicht immer Freiheitskämpfer, die nur nicht zum bösen Russland gehören wollten?«
Grygoriew war eine imposante Erscheinung. Er mochte etwa sechzig Jahre alt sein, hatte volles graues Haar und war groß und kompakt gebaut. Seine gutmütigen, von zahlreichen Lachfalten umgebenen Augen und der dicke Schnurrbart standen in einem merkwürdigen Kontrast zu der scharfzüngigen Polemik und lässigen Arroganz, die er von der ersten Minute an demonstrierte. Es war die kühle Überheblichkeit eines Menschen, der seit Jahrzehnten daran gewöhnt ist, andere zu dominieren. Elena hatte mir durch ein Kopfnicken signalisiert, dass er tatsächlich derjenige war, von dem sie gesprochen hatte, und ich konnte mir gut vorstellen, warum die Putin-Regierung ihn aus der guten alten Zeit der Sowjetunion übernommen hatte. Vielleicht packte er seine gutmütigen Seiten aus, wenn er mit seinen Enkeln zusammen war, hier jedenfalls war nichts davon zu spüren.
Wir hatten nach der Mittagspause den Raum gewechselt und befanden uns jetzt an einem Konferenztisch im Großraumbüro des Maritimen Lagezentrums. Außer uns waren noch zahlreiche andere Mitarbeiter der Behörde anwesend, die hinter ihren Flachbildschirmen saßen, telefonierten oder auf der riesigen Seekarte an der Wand magnetische Schiffchen verschoben, die die Positionen der Einsatzboote markierten. Neben mir saß Ole Petersen vom Bundesverband der See- und Hafenlotsen, der kurz nach Grygoriew dazugestoßen und von allen sehr herzlich begrüßt worden war. Auch ich freute mich, ihn wiederzusehen. Petersen hatte uns vor zwei Jahren den Tipp gegeben, in Ventspils mit Sergej Bakarov zu sprechen. Ohne ihn hätte ich Elena niemals kennengelernt.
Niemand schien so recht eine Antwort auf Grygoriews – zumindest politisch nicht ganz von der Hand zu weisende – Behauptung geben zu wollen. Dann schaute Arne Skerning fragend in die Runde und ergriff, als niemand etwas sagen wollte, das Wort.
»Tut mir leid, Herr Attaché, wir sind keine Politiker, und die Frage, ob Tschetschenen Freiheitskämpfer oder Terroristen sind, spielt für uns hier keine Rolle. Unsere Aufgabe ist der Schutz der deutschen und dänischen Hoheitsgewässer. Es war unsere Pflicht, die Regierung Ihres Landes über einen möglichen Terrorakt gegen ein russisches Tankschiff zu informieren, und das haben wir getan. Es ist außerdem unsere Pflicht, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um uns auf die Blockierung einer international enorm wichtigen Fahrrinne und die ökologische Katastrophe einzustellen, die ein
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