Moerderische Fracht
großen Rucksack und wiegt ungeladen etwas mehr als fünf Kilogramm. Die Waffe hat einen Revolvermechanismus mit sechs Kammern und ein Spezialvisier, das ein Zielen mit beiden Augen erlaubt. Reicht dir das?«
Ich nickte. »Ich muss es Anna sagen. Sie hat fürchterliche Angst.«
»Gib ihr die DVD. Sie soll sie anschauen und dann vernichten!«
»Danke«, sagte ich.
»Wofür?«
»Für das, was du getan hast!«
»Ich habe überhaupt nichts getan. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst.«
»Stimmt, das hatte ich vergessen!«
Wir schwiegen beide.
»Ich würde dich jetzt gerne küssen«, sagte sie nach einer Weile, aber ich schüttelte vorsichtig den Kopf. Er war eine einzige Tabuzone.
»Vielleicht nächste Woche«, sagte ich.
»Ich könnte weiter unten anfangen und mich in der Woche nach oben vorarbeiten.«
»Nächste Woche!«
Elena grinste anzüglich, ging in die Küche und kam mit einer Flasche Wodka zurück. Sie füllte zwei Gläser randvoll und drückte mir eines in die Hand.
»Hier, du darfst ja noch nichts Festes zu dir nehmen!«
»Möchtest du feiern?«
»Nein«, sagte sie, »aber ich werde dich ein wenig gefügig machen.«
»Hab Geduld! Du weißt doch, was die Prawda sagt: ›Sawtra budet lutschsche!«‹
»Die Prawda, die ich meine, gibt es nicht mehr!«
»Schade drum?«
»Net«, sagte Elena, »na sdorowje!«
Achtunddreißig
A
m nächsten Morgen fing ich mit dem Training an. Die Nacht mit Elena war nicht ganz schmerzfrei verlaufen, hatte jedoch eine wunderbar vitalisierende Wirkung auf mich entfaltet. Lieg einfach nur still, und füge dich in das Unvermeidliche, hatte sie geflüstert, und klug, wie ich war, gehorchte ich.
Ich begann mit längeren Spaziergängen in dem großen Garten, der Meiners’ Haus umgab. Elena sah mir von der Veranda aus zu und belohnte mich mit anerkennenden Blicken. Nach drei Tagen wagte ich mich mit ihr in den Ortskern von Duhnen. Mit Genugtuung stellte ich fest, dass ich bereits wieder dreißig Minuten ohne Unterbrechung gehen konnte. Fünf Tage später unternahmen wir unsere erste kleine Strandwanderung. Das Wetter war schon herbstlich kühl. Die Seeluft tat mir gut, aber der Anblick des Watts und der weit draußen liegenden Insel Neuwerk machte mir zu schaffen, weshalb wir auf halber Strecke umkehren mussten. Die Schmerzen im Brustkorb beim Atmen und Lachen waren beinahe verschwunden. Auch im Becken verspürte ich nur noch vereinzelt ein leichtes Ziehen. Meinem Gesicht ging es ebenfalls besser, es war mir gelungen, die Tagesration an Kopfschmerztabletten zu halbieren. Elena besorgte mir ein paar Hanteln, ein Ergometer-Fahrrad und Nordic-Walking-Stöcke, die sich als nützlich erwiesen, obwohl ich mir damit albern vorkam. Langsam hörte ich auf, mich wie ein Patient zu fühlen.
Meine psychische Genesung machte ebenfalls Fortschritte. Die Depression war abgelöst worden von einer beinahe manischen Hochstimmung, die einem erfahrenen Psychiater sicher zu denken gegeben hätte – ich jedoch wusste genau, warum es mir gut ging: Weil Elena mich liebte und Morisaitte tot war. Konnte ein Mensch mehr Glück haben?
Nach wie vor wurde im Fernsehen von den Auswirkungen der Ölpest in der Kadetrinne berichtet, noch immer gab es Bilder von elend verendeten Meerestieren und Meldungen von Opfern, die an den Folgen ihrer schweren Verletzungen gestorben waren, doch wie bei allen Katastrophen gingen die Medien nach und nach zur Tagesordnung über. Es war gelungen, die Fahrrinne zu räumen, und die veröffentlichte Meinung einigte sich darauf, dass mit der Wiederaufnahme des Schiffsverkehrs das Schlimmste überstanden war.
Ich hatte ebenfalls eine merkwürdige emotionale Distanz zu dem Geschehen entwickelt. Ich war raus aus der Sache. Es wurde Zeit, mit allem abzuschließen. Wir hatten uns eingemischt und versucht zu verhindern, was geschehen war, und wir hatten diesen Versuch beinahe mit dem Leben bezahlt. Jetzt war es vorbei. Ich verspürte ein intensives Verlangen nach Alltag, Normalität und Elena Bakarova. Sie hatte den Serotoninspiegel in meinem Hirn so rasant hochgefahren, dass es sich nur noch mit privaten Dingen beschäftigen mochte.
Elena erging es ähnlich – bis auf eine Ausnahme. Wütend und traurig verfolgte sie die Fernsehberichte über die Großoffensive der russischen Armee gegen Rebellen in Tschetschenien und Dagestan. Hunderte von Toten und Verletzten, die vom Kreml mit dem Attentat auf die Ulan und dem Kampf gegen den weltweiten Terror
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